: Der Baustellenkomplex
Die Hertha holt sich zu Hause erneut eine dicke Packung ab. 1:3 gegen Wolfsburg. So manch Spieler fühlt sich in der Baustelle Olympiastadion offenbar unwohl. Reaktion der Zuschauer: Aufhören!
von MATHIAS WOLF
Auf der Tribüne machte ein Running Gag die Runde. Wer wieder einmal eine richtig gute Heimpartie einer Berliner Mannschaft im Olympiastadion erleben wolle, der müsse bis zum 26. Mai warten. Dann spielt der Regionalligist 1. FC Union das Pokalfinale gegen Schalke. Jürgen Röber, der Trainer von Hertha BSC, findet derartige Anspielungen gar nicht lustig. Röber lächelte zwar, aber das sah mehr als gequält aus, als ein Reporter nach dem 1:3 (0:1) gegen den VfL Wolfburg wissen wollte, ob Hertha einen Heimkomplex habe. „Das ist schwer zu widerlegen. Aber wir sollten erst gar nicht drüber nachdenken.“ Muss er aber. Denn aus den letzten fünf Heimpartien holte Hertha gerade mal einen Punkt.
Statt Heldenverehrung der Spieler, wie derzeit in Köpenick, sieht Herthas Welt im Moment so aus: Pfiffe und „Aufhören!“-Rufe der 36.957 Kunden bereits nach einer halben Stunde. Gut, dass in der Halbzeitpause eine Zuschauerin ihrem Freund im Fanblock einen Heiratsantrag machte – so entstand der Eindruck, dass die Hertha-Welt nicht nur freudlos ist.
Diesen Eindruck zurechtrücken wollten die Offiziellen bereits im Vorfeld. Denn vermehrt führten die Spieler ihre Heimschwäche auf den wenig stimulierenden Anblick von Baggern inmitten abgerissener Tribünenteile und Erdhügel zurück. Also in Wahrheit sei es ein Baustellen-, kein Heimkomplex. Weshalb der Klub blauweiße Planen, ein aufblasbares Vereinswappen im Durchmesser von 12 Metern und ein luftgefülltes Vereinsmaskottchen besorgt hatte, um die Baustelle zu bedecken.
Doch mit kosmetischen Korrekturen allein war es nicht getan. Hertha stümperte herum, das wollte auch Röber nicht beschönigen: „Wir waren grottenschlecht.“ Manager Dieter Hoeneß hatte „die grausamste erste Halbzeit gesehen, seit ich vor vier Jahren nach Berlin gekommen bin“. Und das, obwohl er zu Beginn seiner Amtszeit sogar noch Zweitliga-Fußball ertragen musste. „Ich kann das nicht erklären“, sagt Hoeneß.
Berliner Ratlosigkeit. Vor allem, weil Hertha zuletzt zwei Siege in Bochum und Hamburg errungen hatte. „Wenn du auswärts sechs Punkte holst, musst du eigentlich mit breiter Brust in so ein Spiel gehen“, sagte Röber. Aber nein, zu sehen waren nur Häschen in der Baugrube. Derart verängstigt, dass den Fans angst und bange wird. Denn Zahlen lügen nicht: Letzte Saison verlor Hertha nur zweimal im Olympiastadion – das war die Garantie, am Ende noch in den Uefa-Pokal zu rutschen. „Heute haben wir ein Sechs-Punkte-Spiel verloren“, sagte Hoeneß. Wolfsburg gilt als einer der ärgsten Konkurrenten im Kampf um das internationale Geschäft.
Manager Hoeneß vermisste „Feuer und Leidenschaft“, hätte dafür gerne auf die Situationskomik verzichtet, für die seine Herthaner unfreiwillig sorgten. So in der 22. Minute, als Herthas Josip Simunic den Ball fast vom Mittelkreis aus zurück zu seinem Torhüter passen wollte. Die Aktion allein war schon unsinnig, gewann aber überdies an Kuriosität, weil Schlussmann Gabor Kiraly weit vor seinem Tor stand. Im Rückwärtslaufen gelang es ihm gerade noch, den Ball vor der Torlinie wegzuköpfen.
Später wollte Kiraly das Leder nach vorne treten, er sorgte dabei aber für einen Querschläger, den Simunic nur durch einen Fallrückzieher am Mann entschärfen konnte. Den für gefährliches Spiel gegebenen Freistoß schickte Dorinel Munteanu zu Andrzej Juskowiak, der vollendete per Kopf – 0:1 (38.). Röber war da bereits verzweifelt: „Wir hätten heute stundenlang weiterspielen können, ohne unsere Form zu finden.“
Insgeheim freuen konnte sich der Übungsleiter nur über einen, der nächstes Jahr das Hertha-Trikot tragen soll: Wolfburgs Zoltan Sebescen, Mittelfeldspieler. Jener Sebescen, der einst unter Teamchef Erich Ribbeck bei der Nationalelf im Spiel gegen Holland (1:2) ins kalte Wasser geworfen wurde – und unterging. Hertha möchte ihn verpflichten, Sebescen kokettiert damit: „Vom sportlichen Aspekt her wäre Berlin sehr interessant.“ Der 25-Jährige wirbelte derart engagiert, als wolle er schon jetzt sein künftiges Gehalt bei Hertha in die Höhe treiben. Nachdem Juskowiak auf Flanke von Kühbauer (49.) das 0:2 erzielt hatte, leitete Sebescen per Kopf das dritte Tor durch Stefan Schnoor ein (55.).
Hertha war früh am Ende. „Kein Feuer, keine Leidenschaft“, stöhnte Hoeneß. Nur der eingewechselte, erst 18-jährige Bosnier Sead Zilic, der im Januar vom AC Florenz gekommen war, erarbeitet sich einige Möglichkeiten. Als Schnoor ihn in der 73. Minute am Trikot riss, so wie er es nach eigenen Angaben bis November in England bei Derby County stets ungestraft tun durfte, gab es Elfmeter. Den verwandelte René Tretschok zum 1:3.
„Aber auch danach hatte ich nicht den Eindruck, dass wir noch verlieren könnten“, sagte Wolfsburgs Trainer Wolfgang Wolf. Klar doch, weil Hertha ein Heimspiel hatte. „Es sieht so aus, als könnten wir zu Hause nicht mehr gewinnen“, meinte Kapitän Michael Preetz. Weil Röber keine entkräftenden Argumente fand, verließ er rasch die Stätte der Schmach. Er gehe jetzt noch eine Stunde Joggen, teilte er mit. So, als könne er dem Baustellenkomplex einfach davonlaufen.
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