: Wo das Tohuwabohu eingefroren scheint
■ Eine Inszenierung der Unentschiedenheit: „Balagan: Musik der Straße“ im Zelttheater Fliegende Bauten
Die Klänge der Straße auf die Bühne zu bringen, war die Idee von Sebastiano Toma (Regie, Bühnenbild) und Matthias Kraemer vom Zelttheater Fliegende Bauten. Die Beobachtung, dass viele Musiker auf den Straßen Hamburgs aus Russland, Polen oder der Ukraine stammen, verorteten sie im Titel Balagan: Musik der Straße, Straße der Musik und stellten ein Programm von und mit osteuropäischen Musikern zusammen. Künstler, die zur Elite russischer Musikhochschulen gehören und hier in Deutschland aus ökonomischer Notwendigkeit anfangs auf der Straße gespielt haben.
„Balagan“ ist Russisch und bezeichnet die ersten Rummelplätze in den Städten Osteuropas: Orte unter freiem Himmel, an denen fahrende Künstler das Publikum mit Kunststücken und wilder Musik unterhielten. Das Wort bedeutet heute noch „Tohuwabohu“ oder „fröhliches Chaos“. Titel und Ankündigung der Produktion versprechen einen lebendigen Abend, der das Flair der Straße auf die Bühne bringt und musikalische Stilformen von Folklore über Jazz zur Klassik präsentiert. Herausgekommen ist dabei kein fröhlicher, sondern ein geradezu steifer und irritierender Musik-reigen: Mehr eine Inszenierung der Unentschiedenheit und weniger der Lebendigkeit und Vielfalt.
Die Aneinanderreihung von Szenarien eines Marktplatzes, eines Barkonzertes oder der Tristesse einer russischen Winterlandschaft wirkt beliebig. Die Künstler sind mal Musiker, mal Statisten, die mit langen grauen Filzmänteln und Wollschals de-plaziert werden.
Wenn die Akkordeon-Spielerin Natascha Böttcher mit beeindru-ckender Eleganz Piazollas Liber Tango interpretiert, danach aber unvermittelt das Bläserquintett Neva Brass auf die Bühne platzt, um folkloristische Marschmusik zu schmettern, ist das ein musikalischer Bruch. Und wenn Alfredo Portillo klassische Melodien auf seiner Harfe zupft, gleichzeitig aber im Hintergrund Fenster in einer Häuserkulisse auf und zu klappen und die Statisten Kerzen an die Kulisse stecken, dann ist das störend und unverständlich.
Das Publikum bleibt an dem sehr folklorelastigen Abend meist nur Betrachter einer Musik, die originär deshalb fasziniert, weil sie einlädt zum Teilhaben und Mitmachen. Die Atmosphäre der Straße scheint eingefroren und auf die Bühne gestellt. Erst bei der Zugabe lösen sich die Musiker aus ihren zwittrigen Rollen, und endlich hat man das Gefühl, wirklich auf der Straße zu stehen. Katrin Püttmann
nächste Vorstellungen: 13.-17.2., je 20.30 Uhr; bis zum 4. März, Zelttheater Fliegende Bauten (Simon-von-Utrecht-Str./Kleine Seilerstraße)
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