: Die Zeit ist ein Topf
Aggressiver Umbruch: Die chinesischen Filme im Forum
Am Anfang war der Topf. Unbeachtet schwebt er durch die belebten Straßen Pekings, schwerelos scheint sein Verhältnis zu Raum und Zeit. Eben befand er sich noch im feudalen China, jetzt ist er in einer Neonpop-Gesellschaft gelandet. Wild gewordene Geister hat er mitgenommen, nur tanzen sie jetzt mit Michael Jackson den Zombie.
Zwischen einem exzessiven Gegenwartsstück und klassischer Pekingoper gleitet „Fei Ya fei“ („Flying Flying“) hin und her. Irgendwie ist Li Yings durchgeknallter und in Japan produzierter Film ideal für den Endspurt der Berlinale.
Unding, Extremität, Kuriosum – auf alle Fälle etwas, was den Bildersalat, der sich mittlerweile im Kopf angesammelt hat, ordentlich durchschüttelt. Seltsam hysterisiert verlässt man das Kino, auf verschrobene Art hat diese Zeitreise irgendetwas mit uns angerichtet. Vielleicht weil mit dem Topf, der den Geist eines altchinesischen Seidenhändlers durch die Jahrhunderte transportiert, eine Geschichte in der Gegenwart angelangt ist, die sich so oder ähnlich immer wieder ereignet hat und ereignen wird.
Vor der Moral kommt das Fressen – so könnte man die Erzählung auf den Punkt bringen, ebenso gut lässt sich aber auch von einer Tragödie shakespearschen Ausmaßes sprechen. So bringt Li Ying zum einen die klassische Pekingoper „Die Geschichte von der schwarzen Schüssel“ aus der Yuan-Dynastie (1271–1368) auf die Leinwand. Da geht es in burleskem Ton um den reichen Seidenhändler, der aus Neid umgebracht wird. Relativ kurz gehalten sind diese Episoden, eher Echo aus der Vergangenheit. Ohne Kostüme und Bärte landen die gleichen Schauspieler dann im Peking der Millenniumsnacht, und wieder kreist alles um den Zaster.
Ein Geldeintreiber kettet sich an einen verschuldeten Dichter: Auftakt zu einem entblößenden Kammerspiel mit zwei Männern, einer schweigsamen Frau, drei Hunden und schrillen Flöteneinlagen. Verwestlichung, Dekadenz, Verfall – die chinesischen Filme des Forums blicken auf eine Gesellschaft, die von der Handy-Moderne überholt wurde und fasziniert auf die kapitalistischen Trümmerfelder starrt.
Während Jia Zhang-kes dreistündiges Gesellschaftspanorama „Zhan Tai“ („Platform“) mit den 80er-Jahren das Jahrzehnt untersucht, in dem sich China langsam zum Westen hin öffnete, stürzt sich Regisseurin Ning Ying mit „Xiari Nuanyangyang“ („I Love Beijing“) Hals über Kopf in den Status quo.
Fast schon meditative Kamerafahrten zeigen die kilometerlangen Baustellen, Konstruktionsruinen und Betonskelette der chinesischen Hauptstadt. Gemeinsam mit dem Taxifahrer und Möchtegern-Casanova Dezi und seinen Gästen taucht man ein in eine merkwürdig morbide Welt zwischen Geisterbahn, Erlebnishunger und Fast-Food-Kontakten. Der Transporteur der anderen wird zum Medium einer Stadt und zum Sinnbild eines unbestimmten Unterwegsseins. In der bläulichen Zwischenzeit der Morgendämmerung wird Peking zum Panoptikum eines fast schon aggressiven Umbruchs.
Ning Yings Film endet mit einer großartigen Szene im Pekinger Hilton: Im Endstadium der Nacht wanken Yuppies, Luxushuren und Parvenüs benebelt auf der Tanzfläche herum oder monologisieren hingesunken an den Tischen; wer noch nicht genug hat, gibt sich an der Bar den Rest, und man fragt sich einen melancholischen Moment lang, wo das eigentlich alles hinführen soll. ANKE LEWEKE
„Fei Ya Fei“/„Flying, Flying“. Regie:Li Ying, Japan, 118 Min.; „Xiari Nuanyangyang“/„I Love Beijing“. Regie: Ning Ying, China, 97 Min.; „Zhan Tai“/„Platform“. Regie: Jia Zhang-ke, China, 155 Min.
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