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Warten aufs nächste Bombardement

■ Erst in Bremen, dann in Hamburg: Das NDR-Sinfonieorchester unter Herbert Blomstedt wagte sich auf den Kriegsschauplatz des Dänen Carl Nielsen

Wenn ein Bremer Konzertprogramm eine Begegnung mit einer Sinfonie Carl Nielsens verspricht, sollte man doch einiges daransetzen, dies nicht zu versäumen. Denn Nielsen, ein unruhiger, wacher und konventionelle Fesseln sprengender Sohn des seit der Schlacht an den Düppelner Schanzen in bigotter Selbstgerechtigkeit dahinträumenden Königreiches Dänemark, gehört zu den großen Sinfonikern des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts. Zu hören ist er im Konzertbetrieb allerdings selten, man muss schon auf das mittlerweile umfangreiche CD-Angebot zurückgreifen.

Herbert Blomstedt – mit familiären Wurzeln im benachbarten Schweden –, der sich dem sperrigen Nielsen verschrieben hat, brachte am Samstagabend in der Glocke dessen 5. Sinfonie mit dem NDR-Sinfonieorchester zum Klingen. Obwohl ortsabwesend, erwischte ich Blomstedt und Nielsen in der Hamburger Musikhalle am Sonntagmorgen und konnte dort im Kreise zahlloser ergrauter Damen das hiesige Konzert nacherleben.

Den Damen bot Blomstedt zunächst Haydns F-Dur Sinfonie Hob I. 67. In kleiner Besetzung, apart dargeboten, erfreute sie auch den noch nicht vollständig ergrauten Rezensenten durch einige skurrile, solistisch vorgetragene Witze von Papa Haydn, die er offenbar bei seinen Besuchen zahlreicher Burschen-Schenken aufgeschnappt hatte. Nach dem Frühstück und vor dem Mittagessen dies zu hören, war recht angenehm. Die Umsetzung durch das NDR-Sinfonieorchester rund zwei Jahrhunderte nach Joseph Haydns Begegnungen mit dem Heurigen ließ dessen jugendliche Frische allerdings etwas verblassen. Anrührend und lohnend auf jeden Fall war zu beobachten, wie Herbert Blomstedt, der eher den Typ des asketischen Kirchenmusikers verkörpert, um Anmut und Leichtigkeit seines Dirigates rang.

Richard Strauss gab dem NDR Gelegenheit, seine Solohornistin Claudia Strenkert vorzustellen. Sie durfte des jungen Richard erstes Hornkonzert blasen. Sie tat dies sensibel, ruhig, mit rundem Ton und führte das mit Substanz nicht übermäßig belastete Werk weg vom üblichen fröhlichen Halali-Geschmetter.

Nach derartiger leicht verdaulicher Kost traf Nielsens 5. Sinfonie um so schmerzlicher die Magengrube. Nielsens sinfonischer Koloss führt uns nicht in die sanften, von Milch und Honig umflossenen Wiesen Dänemarks. Sein zweisätziges Werk scheint vielmehr den Versuch einer Bestandsaufnahme der Befindlichkeit des alten Kontinents nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges zu unternehmen.

Nielsen versetzt uns zu Beginn in einen Zustand quälender Ungewissheit. Schwebendes Bratschen-Geflimmer wird von nicht zu ortenden Bläsereinwürfen überlagert. Naturstimmungen mag man fühlen, an Wald denken und an Vogelstimmen. Doch weder Mahlers romantisches Naturbild mit fröhlichem Kuckuck noch Respighis monumentaler Pinienwald mit strammen römischen Marschkolonnen erstehen vor unseren Ohren: Dieser Wald ist zerschossen. Er erwartet nicht den nächsten Frühling, er erwartet das nächste Bombardement. Das kommt auch: fremd, barbarisch schonungslos, kalt. Was dem folgt, ein sich aus zögerlichem Gesang entwickelter Choral, kann nicht gelingen.

Lässt der erste Satz andere Bilder als die vom Stellungskrieg in Flandern nicht zu, so scheint der zweite Satz sich dem Frieden zuzuwenden. Lärmende Geschäftigkeit mit verzweifeltem Hang zum Optimismus ist zu vernehmen. Ein Versuch, mittels Fuge Ordnung ins Chaos zu bringen, scheitert. Ein Idyll blüht auf, doch ungestört bleibt es nicht. Die abschließende Apotheose ist ein Fehlschlag in schrägem Dur.

Dieser mit sich selbst zerstörenden Melodien und eindringlich verstörender Rhythmik arbeitenden, kraftvollen Musik wünscht man im Konzertsaal – nur dort kann man sie angemessen erleben – häufiger zu begegnen, zumal wenn sie so kompetent, ungeschönt, machtvoll und sensibel dargeboten wird wie von Herbert Blohmstedt und dem NDR-Sinfonieorchester. Selbst der Hamburger Musikhalle eher weich zeichnende Akustik nahm dieser Sinfonie nichts von ihrer Wucht und Schärfe. Möge der Beifall in Bremen heftiger ausgefallen sein als der Sonntag-morgendliche in Hamburg. Mario Nitsche

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