: Verdeckte Geschichte
Spurensuche in Privatarchiven: Fotoausstellung „Kurdistan im Schatten der Geschichte“ im Museum für Völkerkunde ■ Von Hajo Schiff
Etwa eine halbe Million Menschen kurdischer Abstammung leben heute in Deutschland, mindes-tens 20 000 davon in Hamburg. Als Volk ohne Nation wurden die Kurden romantisiert und dämonisiert. Sich dem, was als wirkliche kurdischen Identität und Geschichte gilt, anzunähern wagt jetzt eine Ausstellung im Museum für Völkerkunde. Und das ist ziemlich schwierig. Denn in der türkischen Politik ruft die bloße Nennung des Wortes Kurdistan bereits panische Reaktionen, Verbote und Verhaftungen hervor. Es ist das paradoxe Trauma der historisch jungen, in der Minderheitenverfolgung nicht zimperlichen türkischen Nation und zugleich verständlicher Nachklang der Trauer über die Zerschlagung des Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg.
Die zentral im Ausstellungsraum positionierte Landkarte weist als Kurdengebiet eine Region vom persischen Golf bis zum Schwarzen Meer aus, das über die Grenzen von fünf heutigen Staaten hinweg die Heimat von etwa zehn – 20 Millionen Kurden (genauer ist das nicht feststellbar!) in Teilen von Türkei und Syrien, von Armenien, Iran und Irak umfasst. Um die Realitätwerdung solcher Vorstellungen zu vermeiden, versucht die offizielle Türkei die bereits 1150 von einem türkischen Sultan eingeführte Bezeichnung Kurdistan zu vermeiden. Von solcher Wortmagie sind nicht nur die gern als „Bergtürken“ bezeichneten Kurden betroffen, auch die armenischen Nachbarn behandelt die die Türkei wie Luft: Immerhin beansprucht auch die Landkarte von Großarmenien das halbe türkische Staatsgebiet.
Als Folge des Golfkrieges begann die amerikanische „Magnum“-Fotografin Susan Meisalas, sich für die Kurden zu interessieren. Und da sie bald erkannte, dass aktuelle Fotos keine Vergangenheit zeigen können, wurde sie zur engagierten Sammlerin und forschte sieben Jahre lang nach Bildern einer verborgenen Geschichte. Aus verschiedensten, meist privaten Quellen entsteht ohne Kommentar und Bewertung ein Kaleidoskop kurdischer Vergangenheit. Dabei werden die letzten von einer Familie im georgischen Exil aufbewahrten braunen Bruchstücke eines Gruppenfotos zum ästhetisch herausfordernden Sinnbild nur noch fragmentarisch möglicher Erinnerung. Doch in dieser ungeschriebenen Geschichte sind auch die Bilder zweifelhaft: Auf einem Foto von 1929 präsentiert die iranische Polizei den getöteten legendären führer Ismael Aga, genannt Simko, doch die Legende glaubt dem Bild nicht und bestreitet dessen Tod.
Die Ausstellung zeigt auch das einzige erhaltene Exemplar der Zeitung Milliyet vom 15. Juni 1988, deren gesamte übrige Auflage beschlagnahmt und vernichtet wurde. Sie enthielt auf Seite eins Fotos und ein Interview mit PKK-Chef Öcalan. Auch wenn Kurden und Türken tausendfach friedlich zusammenleben, öffentlich für die Kurden eintreten darf nicht einmal eine Abgeordnete wie Leyla Zana. Sie wurde dafür 1993 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt und trotz der Auszeichnung mit dem „Sacharow-Preis“ des Europa-Parlaments bis heute nicht freigelassen.
Doch die Hamburger Ausstellung entzieht sich einfachen Konfrontationen und ist entgegen Vorwürfen aus der türkischen Presse nicht gegen die Türken gerichtet. Sie ist in ihrem individuellen Ansatz eher dem Konzept der künstlerischen Spurensicherung verpflichtet. Und ohne Zweifel war das Schlimmste, was den Kurden angetan wurde, die Vernichtungsaktion „Anfal“ von 1988/89 samt Giftgasangriff – und die hatte Saddam Hussein befohlen, den ein Propagandaplakat zugleich zynisch in kurdischer Tracht zeigt.
Trotz grausamer Geschichte und der immer noch gespannten Lage gibt es inzwischen eine ganze Reihe inoffizieller Kontakte zwischen Kurden und Türken, und das nicht nur hier im deutschen Exil. Dass es auch bei der Eröffnung der Ausstellung am Sonntag trotz reger Protes-te im Vorfeld spannungsfrei zuging, ist also schon eine positive Meldung, die vielleicht nur gelingen konnte, da der fließend Türkisch sprechende Museumsdirektor Wulf Köpke seit langem gute Kontakte zur Türkei pflegt.
KURDISTAN – Im Schatten der Geschichte, Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64, bis 30. September;
Podiumsdiskussion Kurden im europäischen Exil mit der Menschenrechtsaktivistin und Gründerin der Stiftung France Libertés, Danielle Mitterand (Paris), der Staatssekretärin im Innenministerium Cornelie Sonntag-Wolgast (Berlin), Kenzeal Nezan vom kurdischen Institut in Paris und dem Ethnologen Martin van Bruinessen aus Utrecht am Freitag (23. Februar, 19.30 Uhr). Weitere Informationen unter www.voelkerkundemuseum.com; www.akakurdistan.com
Weiteres Programm mit Filmen und Lesungen in den nächsten Monaten und Ende März Newroz-Fest zum Neujahrsbeginn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen