das bruderkriegen
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von MICHAEL RUDOLF

Stellen Sie sich vor: ich habe einen Bruder bekommen. Genau genommen einen Halbbruder. Das ist, mögen Sie einwerfen, nichts Schlimmes. Stimmt. Selbst sein Name ist einigermaßen okay: Holger. Keine Fragen weiter dazu ...

Was einigermaßen befremden muss, wäre höchstens, dass Holger bereits 32 Jahre alt ist. Mooooment mal, wie geht das zu?, werden Sie jetzt zu Recht hinterfragen. Auch Freunde und Bekannte stehen vor einem Rätsel. Das hat es noch nicht gegeben. Vor allem Jan Kummer vom „Atomino“, den ich an dieser Stelle einmal ganz besonders herzlich grüßen soll (sorry, liebe Omi, heute ist leider kein Platz für dich. In der nächsten Kolumne dann, ja?), äußerte sich skeptisch. Äußerst skeptisch. Zur Klärung muss ich wirklich etwas weiter ausholen.

Wie Sie sich vielleicht erinnern können, haben meine biologischen Eltern in den frühen Sechzigerjahren niemals das Ehegelübde abgelegt, vielmehr, wie das unter so genannten Freigeistern üblich gewesen, der Libido die Zügel schießen lassen und mit diversen Partnern in den fantasievollsten Kombinationen die Arbeitsloseakademikerquote für die Neunziger und Nuller gefährlich hoch gewuchtet. Niemand macht ihnen daraus einen Vorwurf. Niemals. Das war eben damals so. Geschenkt.

Nun berichtete mein Lieblingshalbbruder Klaus zu München (mit dem ich den Vater teile) vorgestern, seine hoch attraktive, wasserstoffblonde Mutter habe in einem Anfall von klimakterischer Bekenntniswut „kucken lassen“, dass auch Klausens bisheriger Halbbruder Holger den gleichen Vater „als wie er“ und somit auch „als wie“ ich besäße. Die gleiche Mutter, nämlich sie, hätten sie ja schon, wie er sich gewiss erinnern könne. Seine Überraschung war nicht klein. Meine auch. Denn damit sind Holger und Klaus, die beiden Früchtchen, nach der gültigen Vererbungslehre sowie nach geltendem Familienrecht richtige Brüder. Und ich habe einen ganzen Halbbruder mehr. Das ist doch schön. Holger, you’re welcome.

Somit umfasst das fröhliche Geschwisterkollektiv (Stand: 27. Februar 2001) sechs Jungen und drei Mädel. Offiziell. Eines aber ist jetzt schon klar: Die Familiengeschichte wird komplett umgeschrieben werden müssen. Was werden wir uns alles zu erzählen haben?

Eine feine Sache, das Bruderkriegen, wie ich finde. Und viel praktischer als die herkömmliche Variante, wo man sich womöglich mit zwei oder drei dieser ziemlich überflüssigen und ungewaschenen Geschöpfe jahrelang ein Zimmer und obendrein den Matchboxfuhrpark hätte teilen müssen. Das haben unsere feinen Damen und Herren Mütter und Väter wunderbar eingefädelt. Mal sehen, was und wen sie uns in Zukunft noch anzubieten haben. Kleiner Wink: An wasserstoffblonden Halbschwestern ist der Bedarf mutmaßlich gering. Eine neue Mutter hingegen wäre natürlich der absolute Volltreffer. Die alte beginnt nämlich schlimm zu nerven und deutlich zu verschleißen. Ich kenne ja Klausens extrem gut aussehende Mutter leider nur flüchtig. Aber vielleicht ließe sich in der Richtung was machen?