Der zweite Tod des Georgi Gongadse

Die ukrainische Staatsanwaltschaft bestätigt den Tod des vermissten regimekritischen Journalisten. Ein neues Ermittlungsverfahren ist wahrscheinlich. Wieder demonstrieren tausende für einen Rücktritt von Präsident Kutschma

BERLIN taz ■ Der ukrainische Journalist Georgi Gongadse ist Anfang dieser Woche zum zweiten Mal gestorben. Am Montag teilte die ukrainische Staatsanwaltschaft mit, bei der kopflosen Leiche, die im vergangenen November in einem Wald nahe der Hauptstadt Kiew gefunden worden war, handele es sich um den seit September vermissten regimekritischen Journalisten. Eine DNA-Untersuchung habe die Identität bestätigt.

Die Wendung in dem Fall, der mittlerweile als Kutschma-Gate bezeichnet wird und die Ukraine seit Monaten in Atem hält, verwundert. So hatten erste DNA-Analysen bereits Ende vergangenen Jahres ergeben, dass der Leichnam mit 99,6 prozentiger Sicherheit der von Gongadse sei. Hingegen hatte der heftig unter Beschuss geratene Generalstaatsanwalt Mykhailo Potebenko noch in der vergangenen Woche das Gerücht verbreitet, Aussagen von Zeugen aus der westukrainischen Stadt Lviv zufolge sei Gongadse noch am Leben.

Nun ist plötzlich alles anders. Mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft könnte, nach einer monatelangen Verschleppung des Verfahrens, endlich eine Morduntersuchung eingeleitet werden. Gleichzeitig wird auch die Mutter des Toten, Lesya Gongadse, als Opfer in dem Fall anerkannt. Damit erhält sie die Möglichkeit, offizielle Eingaben zu machen sowie in die künftigen Ermittlungen mit einbezogen und durch einen Rechtsbeistand angemessen vertreten zu werden. Noch am vergangenen Freitag hatte Lesya Gongadse in einem offenen Brief an Potebenko dessen schlampige Ermittlungsweise kritisiert und dem Generalstaatsanwalt vorgeworfen, ein Schreiben ihres Sohnes vom Juli letzten Jahres schlicht ignoriert zu haben. Darin hatte Gongadse um Personenschutz gebeten, weil er von Unbekannten verfolgt werde.

Durch die jüngste Kehrtwendung der Staatsanwaltschaft dürfte auch der Druck auf Staatspräsident Leonid Kutschma weiter wachsen. Am vergangenen Sonntag demonstrierten in Kiew erneut mehrere tausend Menschen für den Rücktritt des Staatschefs. Grund für die andauernden Proteste sind Vorwürfe, Kutschma sei in den Fall Gongadse verstrickt. Tonbandaufnahmen von Gesprächen zufolge, die ein ehemaliger Sicherheitsoffizier im Amtszimmer Kutschmas mitgeschnitten haben will, soll der Präsident die Beseitigung des unbequemen Journalisten angeordnet haben.

Doch noch scheint sich Kutschma sicher und unantastbar zu fühlen. Die Demonstranten denunzierte er als Handlanger korrupter Politiker wie des ehemalige Premiers Pavel Lazarenko und der kürzlich verhafteten früheren Vize-Premierministerin Julia Tymoschenko. „Jeder versteht, dass das, was hier passiert, nicht auf dem Willen des Volkes basiert, sondern auf Geld gebaut ist“, sagte er.

Doch ob Kutschmas Befreiungsschläge ihn letztlich vor dem Absturz bewahren, ist fraglich. „Dieser Mann ist ein Krimineller und mit kriminellen Absichten versucht er sich an der Macht zu halten“, schrieb kürzlich die ukrainische Zeitung Kiew Post. „Die Macht ist der absolute Schlüssel zu Kutschmas Manie.“ BARBARA OERTEL