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Kulturalarm in Afghanistan

Die Taliban wollen alle nichtislamischen Darstellungen menschlicher Körper in Afghanistan als „Götzenbilder“ zerstören und bedrohen damit das reichhaltige kulturelle Erbe ihres Landes. Internationale Experten reagieren entsetzt

aus Kabul JAN HELLER

Der Koran verbietet jede Darstellung des Menschen, weil Allah wie der Gott im Alten Testament keine Abbilder neben sich duldet. Deshalb hat das Oberhaupt der Gläubigen und Anführer der afghanischen Taliban, Mullah Muhammad Omar, am Montag in seinem Hauptquartier in Kandahar angeordnet, dass „alle Statuen und nichtislamischen Schreine, die sich in den verschiedenen Gebieten des Islamischen Emirats Afghanistan befinden, zerstört werden müssen“. Denn sie würden von den Anhängern anderer Religionen angebetet. Das müsse auch für „die Zukunft“ verhindert werden, sagte Mullah Omar, der sich seit einiger Zeit mit dem Beinamen „Mudschahed“ (heiliger Krieger) schmückt.

Die Entscheidung sei nach „Konsultationen zwischen den religiösen Führern“ des Emirats, „religiösen Einschätzungen“ der Islam-Gelehrten und auf der Grundlage der Urteile des Obersten Gerichts des Landes gefallen. Veröffentlicht wurde sie vorgestern über den Taliban-Sender „Stimme der Scharia“. Ein Sprecher des Kabuler Außenamts hat die Entscheidung inzwischen offiziell bestätigt. Im benachbarten Pakistan und anderen Ländern löste dieser staatlich verordnete Akt des Vandalismus inzwischen schieres Entsetzen und hektische Aktivitäten aus.

Die diplomatische Gemeinde versucht, die drohenden Zerstörungen abzuwenden. UN-Generalsekretär Kofi Annan wird eingeschaltet. In Paris forderte Zmar Tarzi, der in den 70er-Jahren Afghanistans oberster Archäologe war: „Wir müssen dringend die öffentliche Weltmeinung gegen diesen inakzeptablen Beschluss alarmieren.“

Die UN-Kulturorganisation Unesco forderte bereits in einem Aufruf, Afghanistans Erbe für künftige Generationen zu bewahren. Ein westlicher Diplomat, der noch am Montag in Kabul war und dem dort entsprechende Gerüchte zu Ohren gekommen waren, bezeichnete das Edikt als „unglaublich und empörend“ – besonders da ihm Taliban-Offizielle versichert hatten, dies entbehre jeder Grundlage.

Gefährdet sind jetzt besonders die beiden größten stehenden Buddha-Statuen der Welt in der zentralafghanischen Stadt Bamiyan, die von den Taliban gerade von ihren Gegnern zurückerobert wurde. Nachrichten dringen seither von dort nicht mehr nach außen. Inoffiziell wurde hingegen bekannt, dass vor wenigen Tagen bereits 50 bis 60 buddhistische und hinduistische Statuen im Nationalmuseum von Kabul zerstört worden seien. Auch das bestritten die Taliban gegenüber Diplomaten, denen sie jedoch den Zutritt zu dem geschlossenen Museum verweigern.

Offensichtlich haben sich die Hardliner in den Reihen der Taliban gegen die wenigen zaghaften so genannten Moderaten in einem schon länger währenden Kulturkampf durchgesetzt. Der begann 1998, als in Bamiyan ein Taliban-Kommandant mit seinem Panzer auf eine der beiden Riesen-Buddhas feuerte. Doch die Taliban stellten das als Einzeltat eines Durchgeknallten hin.

Mullah Omar erließ ein Edikt, dass auch das vorislamische Kulturerbe Afghanistans geschützt werden müsse. Vor den Buddhas zogen Wachen auf. Doch das hinderte örtliche Taliban nicht, Teile des Kopfes einer der Statuen wegzusprengen und im Sommer 2000 das bereits im Mittelalter von radikalen Muslimen abgeschliffene Gesicht der größeren Statue mit brennenden Reifen zu schwärzen. Seither sieht der „männliche“ Buddha, wie die Einheimischen ihn nennen, aus seinen scheinbar schwarzen Augenhöhlen wie anklagend in das Bamiyan-Tal, das unter einem liberaleren Regime ein kultureller Anziehungspunkt von Weltgeltung wäre.

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