: illusionen mit verfallsdatum
Bruce Sterling
Mit seiner Erzählung „The Artificial Kid“ gehörte Bruce Sterling neben William Gibson („Neuromancer“) in den 80er-Jahren zu den Vorreitern der Cyberpunk-Bewegung, die lange vor dem kommerziellen Boom des Internets die Technik des Computers als radikalen Bruch mit allen kulturellen Traditionen begriff. Die Liste von Sterlings Essays, Erzählungen und Rezensionen ist lang und unter www.well.com/conf/mirrorshades/ einzusehen. Letztes Jahr erschien sein jüngster Roman, der auch im Original den deutschen Titel „Zeitgeist“ trägt. Eine polemische, aber auch visionäre Abrechnung mit den politschen und technischen Wahnvorstellungen zum Ende des soeben vergangenen Jahrhunderts. Natürlich sieht Sterling heute erst recht keinen Grund, den naiven Fortschrittsglauben der Internetpropheten zu teilen. Dennoch nutzt auch er das Internet – jedoch als subkulturelles Medium der Desillusionierung. Zusammen mit Richard Kadrey beschäftigt er sich in seinem Onlineprojekt „Dead Media“ (www.deadmedia.org) mit veralteter Technologie jeder Art, von der Laterna magica über den Vocoder bis zur Atari-Musik. Er fordert dazu auf, per E-Mail die Liste dieser nachweisbaren Todesfälle technischer Träume zu ergänzen; wer darüber gar ein ganzes Buch schreiben möchte, bekommt 50 Dollar ausbezahlt. Über Schlagwörter wie „Multimedia“, „Datenautobahn“ und „Virtualität“ werde zwar viel geschrieben, sagt Sterling, doch niemand habe sich je die Mühe gemacht, sie genauer zu definieren. Jeder Hype hat sein Verfallsdatum, Medien wie die CD-ROM könnten bald so vergessen sein wie etwa vor ihnen das Sensorama.
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