: Die Wüste ist ein richtig altes Hemd
Den Gitarren ihren Lauf lassen: Mit seiner Band Giant Sand begründete Howe Gelb einst das Genre namens Americana. Nun meldet sich der verhinderte Großkünstler des US-Underground, dessen Werk eine konsequente Verweigerungshaltung durchzieht, mit einer wahren Veröffentlichungsflut wieder
von THOMAS WINKLER
Durchs Telefon kann man Arizona hören. Es hat ein wenig geschneit an diesem Tag in Tucson, erzählt Gelb. Schnee in der Wüste – das klingt wie ein Songtitel von Giant Sand, der Band, der Gelb seit nunmehr 21 Jahren vorsteht.
21 Jahre, in denen Gelb zum Übervater, zur grauen Eminenz des US-amerikanischen Gitarren-Underground wuchs. Eine Gestalt, die ihr mythisches Potenzial immer wieder durch wirre Platten sabotierte. Platten, die dann aber wieder so unfertig, unausgegoren und unvollständig klangen, dass sie gerade deswegen grandios wurden.
21 Jahre, in denen Gelb nahezu alles veröffentlichte, was er aufnahm. Was nun zu jener Veröffentlichungswelle führt, die uns dieser Tage erreicht: Unlängst wurde sein letztes Solo-Album „Hisser“ erstmals in Europa veröffentlicht, im April folgt mit „Confluence“ ein weiterer Alleingang. Dieser Tage erscheint ein Best-of-Album von Giant Sand, und über die bandeigene Website (www.giantsand.com) kann man „Down Home“ mit bislang unveröffentlichtem Solo-Material erwerben. Angekündigt sind bereits ein Gelb-Album, ausschließlich mit Klavierstücken, und perspektivisch eine weitere Giant-Sand-Platte. „Das ist der Frühjahrsputz“, sagt Gelb, „alles muss raus.“
Diese 21 Jahre waren aber auch Jahre, in denen Gelb systematisch den kommerziellen Erfolg umging. „Man sollte“, sagt er, „in der Lage sein, Haken zu schlagen.“ Statt Kontinuität in seine Arbeit zu bringen, versuchte Gelb „herauszufinden, was jenseits von mir selbst liegt“. So bricht mancher viel versprechende Song unvermittelt ab, andere kommen nie so recht in Fahrt. Noise-Ausbrüche wechseln sich ab mit Rezitationen, Jahrmarktatmosphäre mit Western-Feeling. Seine Kinder sangen mit, bevor sie überhaupt sprechen konnten.
Ausgerechnet „Glum“, die erste Platte, die bei einer großen Plattenfirma herauskam, gehört zu den wirrsten Werken von Giant Sand. „Kommerziell erfolgreich zu sein macht eher mehr Probleme, als dass es das Leben verbessert“, sagt Gelb. Noch obskurer geriet dann der zweite Ausflug zur Industrie: Das Label V2 verpflichtete die Band, weigerte sich aber nach einem Wechsel im Management, die bereits fertige Platte „Chore of Enchantment“ herauszubringen. Giant Sand wurden schließlich ausbezahlt, sie durften ihre Bänder mitnehmen und lizenzierten sie an ein Independent-Label. Für die gerade erscheinende Best-of-Auswahl „Selections circa 1990–2000“ hat V2 nun wiederum zwei Songs von dieser Platte zurückgekauft. „So ist das Leben“, sagt Gelb leise lachend. Nicht nur deshalb klingt „Selections“ wie ein ironischer Treppenwitz der Popgeschichte. Angekündigt als Best-of-Album, ist es eher eine Zusammenstellung aus seltenen Outtakes, Compilation-Beiträgen und bislang unveröffentlicher Versionen bereits bekannter Songs geworden – und so ein veritables Giant-Sand-Album.
Ein Beispiel dafür, wie leicht es gewesen wäre, ein wenig mehr Geld zu verdienen, hat Gelb in der eigenen Band. Schlagzeuger John Convertino und Bassist Joey Burns verkaufen unter dem Namen Calexico überaus erfolgreich in Europa ein leicht touristisch eingefärbtes amerikanisches Klischee. Ein Klischee, das in den 80er-Jahren noch auf den Namen Desert Rock hörte und von Bands wie Thin White Rope, Green On Red, Long Ryders, Naked Prey oder eben Giant Sand begründet wurde, die den Gitarren ihren Lauf ließen und Sonnenuntergänge besangen. Heute nennt man das Americana.
Dabei hatte die angeblich stilbildende Wüste niemals Einfluss auf seine Musik, behauptet Gelb. Sie ist für ihn nur „ein altes, ein richtig altes Hemd“. Er habe dieses Etikett Desert Rock nie verstanden, behauptet Gelb. Dabei wäre es für ihn eine Chance gewesen, unter diesem Namen zu einem größeren Bekanntheitsgrad zu kommen. Während Americana in Europa, und da vor allem in Deutschland, mittlerweile recht solide Verkaufszahlen erwarten darf, hat sich die kleine wie eingeschworene Anhängerschaft von Giant Sand mit den Jahrzehnten kaum vergrößert.
Angeblich soll Gelb nicht einmal eine Stereoanlage besitzen. Geld verdiente er mitunter mit dem Schreiben von Filmsongs oder als Gitarrenlehrer von Keanu Reeves. Gelb war immer jemand, der nichts erreichen wollte und mal guckte, was er so bekam. „Etwas zu erschaffen, Musik zu machen, das bedeutet mir sehr viel“, sagt Gelb, „aber ich habe keinen Ehrgeiz.“ Diese Verweigerungshaltung bestimmt sein künstlerisches Dasein. Als die Kumpels mit Calexico Erfolg hatten, litt zwischenzeitlich die Zusammenarbeit. Nicht nur, weil der Alleinherrscheranspruch bröckelte, auch aus rein organisatorischen Gründen. Während Burns und Convertino in Europa am Erfolg bastelten, saß Gelb in Tucson im Studio.
So entstanden all diese Solo-Aufnahmen, mal mit der langjährigen Rythmusgruppe, mal mit anderen Freunden und Kollegen. Aber alle ordnen sich konsequent ein in die Verweigerungshaltung, die Gelbs gesamtes Schaffen beherrscht. Es dürfte nicht viele Menschen geben, denen es so scheißegal ist, was man von ihnen hält. Gelb bringt einfach alles zu Gehör, man muss es ja nicht kaufen. So wechseln sich auch auf „Confluence“ Momente purster Schönheit ab mit Minuten betörender Überflüssigkeit. Oder „Hisser“: Eine ganze Platte lang kreist er um den Tod seines besten Freundes und Immer-wieder-Giant-Sand-Gitarristen Rainer Ptacek, der Ende 1997 an einem Gehirntumor starb, und macht uns so zum Mitwisser, zum Mitfühler seines Leids.
Es ist, als könnte Gelb nicht allein sein. Es ist die Klage eines alten Mannes, der auf der Suche ist nach seinem ganz persönlichen Weg. Kann man alt werden im Rock? Diese Frage hat sich der 44-jährige Familienvater „erst kürzlich“ gestellt. Und festgestellt, dass es da draußen zwar einige gibt, die das erfolgreich vormachen, er aber selbst den von ihm immer wieder als musikalischen Einfluss genannten Neil Young nicht als Vorbild für geeignet hält. „Schon im Mutterleib hat man seinen Rhythmus, der einen das ganze Leben lang nicht verlässt“, sagt Gelb. „Mit der Musik versucht man, diesen Rhythmus hörbar zu machen.“ So bleibt dann neben der Familie doch nur der Klang der Gitarre und die Stimme, die der Schwermut Form geben muss. Immer wieder.
Giant Sand: „Selections circa 1990–2000“ (V2); Howe Gelb: „Hisser“ (Glitterhouse/TIS/EastWest) und „Confluence“ (Thrill Jockey/ EFA, ab April). Auf Tour mit PJ Harvey: 1. 3. Köln, 2. 3. Hamburg, 8. 3. Münster, 9. 3. München
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