Mehr Demokratie: Statt braver Briefe
■ Direkte Demokratie + Ökologie: Ein Schweizer Alpenschützer berichtet
Bürgerinitiativen und andere Gruppen, die in der Lage sind, die Unterschriften von zwei Prozent aller Wahlberechtigten zu sammeln, können einen Volksentscheid beantragen. Oft geht es dabei um ökologische Fragen. Am heutigen Mittwoch ab 20 Uhr berichtet der Leiter des Alpenprogramms des Schweizer WWF im Kulturzentrum Schlachthof über diese Form der direkten Demokratie. Die taz sprach mit dem 44-Jährigen, der an zahlreichen solcher „Volksinitiativen“ beteiligt war.
taz: Im vergangenen Herbst ist in der Schweiz ein Volksentscheid gescheitert, den Autoverkehr im Land zu halbieren. Wo liegen Grenzen und Chancen dieses Instrument?
Andreas Weissen: Wer in der Schweiz eine Initiative ergreifen will, muss sich Folgendes überlegen: Will er eine Mehrheit dafür finden, oder will er einmal ein Diskussionsthema lancieren? Um Mehrheiten zu finden, müssen im Text Kompromisse gemacht werden. Gerade wenn es um den – heiklen – Verkehrsbereich geht, so muss man dort in fast homöopathischen Dosen vorgehen. Aber: Man kann sich mit einer Volksinitiative eine Diskussion erhoffen. Wir hatten zum Beispiel 1989 die Gruppe „Schweiz ohne Armee“ und jetzt diese Verkehrshalbierungs-Initiative, die gesellschaftliche Fragen aufbringen, die dann auf spätere Reformprozesse durchaus Auswirkungen haben.
Konkrete Erfolge?
Wir haben im Naturschutzbereich mit mehreren Volksinitiativen erreicht, dass beispielsweise die Schutzgebiete-Politik bedrohter Lebensräume als so genannter „indirekter Gegenvorschlag“ bereits mit ins Gesetz aufgenommen wurden, weil man die Initiative als zu weitgehend erachtet hat. Es gibt eine Initiative von 1994 zum Schutz des Alpengebiets vor dem Transitverkehr, die in der Zwischenzeit als Eckpfeiler der schweizerischen Verkehrspolitik dient, die den Weg für die Einführung der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe geebnet hat.
Warum werden in der Schweiz so häufig ökologische Themen zum Gegenstand solcher Initiativen?
Diese Möglichkeit wird vor allem von Leuten genutzt, die wenig in den Parlamenten oder in der Regierung vertreten werden. Aktuelle Themen, die in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert haben, werden mit Volksinitiativen aufgegriffen. Es waren nach Mitte der 80er Jahre – Stichwort Waldsterben – für zehn Jahre vor allem ökologische Initiativen, aber sehr oft sind es auch soziale Anliegen, die aufgegriffen werden. Es gibt auch eine Gruppierung, die im Parlament wenig Nachhalt findet – Rechtsnationale –, die immer wieder Vorstöße zur Begrenzung der Zahl der Ausländer in der Schweiz machen.
Der Volksentscheid hat in Ihrem Land eine lange Tradition. Lassen sich Ihre Erfahrungen in irgendeiner Form auf Deutschland übertragen?
Direktdemokratische Mitwirkungsmöglichkeiten wie diese Volksinitiative, die es in der Schweiz auf allen Ebenen gibt – Gemeinde, Kanton bis zum Bund – sind ein nützliches Instrument, um politische Diskussionen, um aktuelle Fragen aufs Tapet zu bringen, die sonst von der Regierung öfters mal als zu hei?es Thema weggeschoben werden. Ich nehme an, dass es in Deutschland auch entsprechende Themen gibt.
Haben Sie in ihrem Heimatort selbst schon mit Hilfe einer Initiative Politik gemacht?
Ich hatte in meiner Gemeinde Brig-Glis zur Einführung eines Ortsbusses Erfolg. Wir haben zunächst einen braven Brief geschrieben an die Gemeinde, haben einen Vorstoß im Parlament gemacht – das hatte keine Wirkung. Erst mit der Volksinitiative und der Volksabstimmung fanden wir eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Fragen: M. Haase
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