: Kampf um die Zuschauergunst
■ Tanz Bremen 2: „Déjà Donné“ tobt in der Ausgelassenheit von Emir Kusturicas Filmen über die Bühne des Schauspielhauses
Ach, wie drahtig ist diesmal diese Kartenabreißerin am Einlass des Schauspielhauses. Ach so, ist ja eine der fünf TänzerInnen des tschechischen Ensembles „Déjà Donné“. Der Beleuchter auch. Er heißt Hugo. Stücke mit den Namen Hugo sind bekanntlich allesamt Grotesken. Und diese ist eine über Eitelkeit, Käuflichkeit, Liebesbedürfigkeit und deshalb auch über die Liebenswürdigkeit von Schauspielern: eine Art „Fünf Personen suchen einen Autor“ im Tanzformat.
Und wenn man bedenkt, dass KünstlerInnen aus dem Osten – egal ob es sich um einen chinesischen Filmemacher, eine jugoslawische Theaterautorin oder einen bulgarischen Theateregisseur handelt – vor westlichem Festivalpublikum reüssieren müssen, um ihren nackten Lebensunterhalt zu finanzieren, dann bekommt der turbulente Klamauk von Déjà Donne eine zutiefst existenzielle Note.
Vorgeführt werden Menschen, die sich vor ihrem Publikum prostituieren, und dieses Publikum – wir – lachen uns dabei krumm und schief. Denn viele Szenen sind purer Slapstick. Und wie bei Laurel & Hardy funktionieren sogar die allersimpelsten Einfälle, ganz einfach weil die Ausführung überaus süß ist, aber auch technisch fulminant.
Permanent wird da gestritten um die Herrschaft über den Lichtkegel oder um die mittlere Bühnenrampe. Jeder will gefallen. Aber es gibt auch höchst ernsthafte Probleme: „Huuugo, did wie change the order of the music?“ – eine Frage, der man ohne weiteres zehn Minuten nachgehen kann. Und weil es dabei nur um die Anhäufung von Wortbergen oder semantische Müllhalden geht, wird das meiste davon auf Tschechisch gequasselt. Im Anbetracht eines Geldscheins entblößt eine der Tänzerinnen die delikatesten Körperstellen, zum Beispiel den Ellenbogen – schließlich ist der Zuschauer immer ein Voyeur.
Um noch mehr zu gefallen, reißt sich einer der Tänzer gleich sämtliche Kleider vom Körper, bis auf eine Unterhose, Modell Schiesser Feinripp oder so. Mit der stellt er sich dann in eine Dusche von Theaterkunstschnee und legt dabei ein Entzücken an den Tag, das gemeinhin nur Menschen in einem Alter unter zehn Jahren kennen. Richtig romantisch. Mitten im Stück geht ein Herr mit Klingelbeutel durch die Reihen. Aber das Bremer Publikum rückt erst dann Geld raus, wenn von einem Bauchladen Mineralwasser – „sprinkled“ – und O-Saft angeboten wird.
Und wie in den Filmen von Emir Kusturica wird es just dann am allerschönsten, wenn der definitive Untergang naht: Die Bühnenwände aus schwarzem Stoff fallen herab und über die Tänzerinnen her. Sie legen ein wunderschönes Farbtableau aus zufällig herumliegendem Theaterkrempel frei, indem dann noch ein Pas de Deux stattfindet, der fast aus Schwanensee sein könnte, ginge er ohne Unglücke und Missgeschicke ab.
Das Ganze wird angetrieben von einer Musik, die man auch aus dem Film „Time of the Gypsis“ kennt. Das Publikum war natürlich very amused. Und es ist bemerkenswert, wie tänzerisch elegant und anspruchsvoll es sein kann, alberne, kindsköpfige Menschen darzustellen.
Jetzt weiß man dank des Festivals Tanz Bremen auch, wie es zu der Redewendung kommt: Mach kein solches Theater. bk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen