Ballett für Möbelpacker

■ Das Hans Hof Ensemble zeigte seine Groteske „Stadt bei Nacht“

Es geht doch nichts über eine gute Nachbarschaft. Denn wenn der Italiener zur Linken gegen Mitternacht wieder sein Lavazza-Grinsen auflegt und deiner Frau schöne Augen macht, wenn die Opernsängerin zur Rechten nachts um zwei um die Wette mit ihrer rolligen Katze ihre Koloraturen übt und wenn der Alki in der Wohnung oben nachts um halb drei sein Altglas zerkleinert, dann, ja nur dann weißt du, dass du zu Hause bist. Genau diese Form des Großstädterlebens hat sich das Hans Hof Ensemble unter weiterer Zuspitzung für seine vermutlich jüngste, vermutlich schrillste und vermutlich duftendste Choreographie ausgesucht: Das um drei Gäste verstärkte Quartett aus Groningen bescherte dem Festival Tanz Bremen die „Stadt bei Nacht“.

Während der durchschnittliche Deutsche inzwischen über mindestens 50 Quadratmeter Wohnfläche verfügen dürfte, hocken unsere lieben Nachbarn in den Niederlanden etwas näher aufeinander. In zwei winzigen Schlafzimmerchen, die da auf der Bühne des Schauspielhauses aufgebaut sind, nimmt ein überaus ulkiges Geschehen seinen Lauf: Mann 1 kann nicht schlafen, turnt und tobt herum und kocht sich Espresso; Mann 2 kann nicht schlafen, weil Mann 1 nicht schlafen kann, und brät sich ein Spiegelei.

Anfangs ist das Spektakel noch ganz übersichtlich, auch wenn zunächst ein Pianist Barmusik dazu plätschern lässt und ein anderer Akteur zur Trompete greift. Doch nach und nach bevölkert sich die Bühne mit immer skurrileren Gestalten. Auf treten ein streitlustiges und zu ulkigen Sprüchen aufgelegtes Ehepaar („Die Toilette ist die Visitenkarte einer modernen Beziehung“) oder eine fallsüchtige Frau, die gleich mehrmals mit lautem Krachen von irgendeinem Schrank herabstürzt.

Zum Stürzen gibt es genug Gelegenheit. Denn beeinflusst von den Installationen des US-amerikanischen Künstlers Edward Kienholz steht die Bühne voll mit Laternen, Schränken, Sesseln, Betten, Kästen und Koffern im Look der 1940er und 1950er Jahre, die dauernd hin- und hergerollt, -geschoben und -getragen werden. So ist das Tanzstück zugleich auch Möbelpackerei und Hindernislauf. Wenn ein wild gestikulierender Tänzer gerade eben mit dem Kopf an einer Schranktür vorbeischrammt, bleibt einem die Spucke weg. Und wenn ein anderer in minutenlanger Akrobatik auf einer Espressokanne hockt, trocknet einem vor Staunen der Mund ganz aus.

„Stadt bei Nacht“ ist eine auch in der Klang- und Musikauswahl sicher in den Stimmungen wechselnde Mischung aus Persiflage, Satire und Drama. Bis zum Finale in Form einer „Kochduell“-Veräppelung, in der live und mit großer Gestik auf der Bühne ein Essen zubereitet wird, spießen die sieben Mitwirkenden Alltagsszenen auf und ziehen sie durch den Kakao einer ideenstrotzenden Groteske. Das Bremer Publikum feierte das Spektakel im ausverkauften Schauspielhaus mit stürmischem Beifall.

Bis Ende April brauchen die OrganisatorInnen des Festivals Tanz Bremen Finanzierungszusagen für das nächste Jahr. Es wäre ein Jammer, wenn es in Bremen niemanden gäbe, der Compagnien wie das Hans Hof Ensemble zum Gastspiel in die Hansestadt einlädt.

ck/Foto: Karel Zwaneveld