piwik no script img

Schinderei umsonst

Weil der Schiedsrichter einen Spielerwechsel nicht erlaubt, fühlt sich Hansa Rostock um einen Punkt betrogen

BERLIN taz ■ Irgendwie, als die Uhr schon abgelaufen war und die meisten im Olympiastadion sich bereits seelisch-moralisch auf den Heimweg vorbereiteten, ist es dann doch noch passiert: Piotr Reiss hatte sich den Ball ergattert, hatte sich samt Spielgerät hineingewurschtelt in den Strafraum, dort bereits festgefressen in der vielbeinigen Abwehr und es dann doch noch geschafft, die Kugel wieder hinauszubugsieren aus dem Sechzehner, genau in Richtung von Kollege Dardai. Der erkannte die Gunst der Stunde, legte alle Umständlichkeiten, die das Spiel der Hertha zuvor bestimmt hatten, ab – und drosch den Ball aus 20 Metern einfach und ziemlich vehement an Freund und Feind, vor allem aber an Hansa-Torsteher Pieckenhagen vorbei ins Netz zum 1:0. Und wie immer, wenn in Minute 93 der einzige Treffer fällt, teilte sich der Rasen in zwei Welten: da die Berliner, die den nicht mehr erwarteten Sieg ausgiebig bejubelten, dort die Rostocker, die die nicht mehr für möglich gehaltene Niederlage betrauerten – und sich flugs daran machten, die Schuldfrage zu klären. Das hatten sie bald erledigt – und mit nicht wenig Zorn auf Schiedsrichter Jürgen Aust. Der hatte kurz vor dem Tor eine von Hansa-Trainer Friedhelm Funkel angezeigte und bereits vorbereitete Auswechslung – Timo Lange stand am Seitenaus längst parat – nicht genehmigt, was von den Rostockern später als spielentscheidendes Detail empfunden wurde. „Jeder bei uns weiß, dass wir durch die Nichteinwechslung das Spiel verloren haben“, schimpfte Funkel nach Schlusspfiff; bereits davor hatte Marcus Lantz seinem Unmut verbal Luft gemacht, was Aust denn auch noch mit gelb-roter Karte wegen Meckerns abstrafte. Die Trinkflasche, die Rene Rydlewicz hernach nach dem, so das einhellige Hansa-Urteil, Parteiischen geschleudert haben soll, wurde am Samstag hingegen noch nicht geahndet, ist aber Gegenstand eines Sonderberichts, den Herr Aust demnächst dem DFB zukommen lassen möchte.

Da reagierte ein Teil der Hansa-Delegation doch wesentlich spontaner. „Herrn Aust war sehr daran gelegen, dass Hertha dieses Heimspiel gewinnt“, überzog noch in den Katakomben Herbert Maronn, der Manager, „so beschissen“ fühlte sich auch Mannschaftskapitän Peter Wibran. Und selbst auf Seiten der Berliner brachte man Verständnis für der Gäste Verstimmung auf. „Ich habe es auch nicht verstanden“, gab etwa Dieter Hoeneß zu, „klar, dass man da vermutet, dass das Tor nicht gefallen wäre“, befand der Manager der Berliner zudem. Eine plausible Erklärung für Austs Handeln hatte immerhin Jürgen Röber parat: „Vielleicht hat der Schiri sich gesagt: Jetzt ist Schluss“, vermutete der Hertha-Trainer – und zwar mit der Zeitschinderei, die die Rostocker Akteure tatsächlich phasenweise fast leidenschaftlicher vorgetragen hatten als ihre Bemühungen nach vorne, am leidenschaftlichsten Steffen Baumgart, der bei seiner Auswechslung zuvor (81.) geradezu lasziv über den Platz geschlendert war. „Beide Wechsel vorher verliefen sehr schleppend“, bestätigte denn auch Schiri Aust Röbers Zeitschindertheorie: „Ich habe klar angezeigt, dass ich mit der Art und Weise nicht einverstanden bin.“

Das galt für einen Großteil der rund 40.000 im Olympiastadion auch für das Spiel der Hertha. Mag sein, dass Rostock, wie Jürgen Röber später zu berichten wusste, „doch nur das 0:0 wollte“ und entsprechend auch auftrat: vorne meist nur zweibeinig (Salou), hinten oft mit dem ganzen Rest. „Die standen da gut“, fand auch Herthas eigener Abwehrchef Dick van Burik, wobei die Angriffsbemühungen der eigenen Kollegen zu selten dazu angetan waren, den Gegner in wirkliche Verlegenheit zu stürzen. „Spielerisch war das noch nichts Berauschendes“, urteilte denn auch erneut Manager Hoeneß, während Trainer Röber Kampfgeist und Laufbereitschaft der Seinen herausstrich und nochmals die Liste der Verletzten ins Gedächtnis rief, auf der diesmal die Namen Deisler, Rehmer, Beinlich, Wosz und Daei standen. Auch derentwegen will der Trainer nach wie vor nichts hören von Meisterschaft und so. „Wir wollen um die Champions-League-Plätze spielen“, sagt Röber, „alles andere wäre Mumpitz.“ FRANK KETTERER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen