: Kurzer Schreck an der Linie
Nach dem 2:2 zwischen dem SC Freiburg und Borussia Dortmund interessiert trotz eines tollen Spiels am Ende nur noch die Frage, ob der trainierende Studienrat Volker Finke richtig zählen kann
aus Freiburg ULRICH FUCHS
Eigentlich gab es mal jede Menge gute Gründe, über Fußball zu reden. Schließlich hatten die Zuschauer im Dreisamstadion beim 2:2 des SC Freiburg gegen Borussia Dortmund ein über die Maßen attraktives Spiel gesehen. Mit Chancen hüben und noch viel mehr Chancen drüben. Was daran lag, dass der von seinem Cheftrainer Matthias Sammer als „schlechtester Tabellenführer Europas“ avisierte BVB einen Ball spielte, der das Klischee vom westdeutschen Malocher-Fußball bemerkenswert konterkarierte.
Man hätte auch darüber sprechen können, was das mit Tomas Rosicky zu tun hatte. Schließlich lief im ersten Durchgang fast jeder der mit höchstem Tempo vorgetragenen Dortmunder Angriffe über den Tschechen, der eindrucksvoll unterstreichen konnte, warum so viele Hoffnungen auf die Kultivierung des Dortmunder Spiels auf seinen schmalen Schultern ruhen. Wobei Rosicky sich weniger als Inszenator des spektakulären Balles hervortat, sondern vielmehr als einer, der mit einem überproportionierten Gespür für die Situation und die Brisanz des einfachen Balles im richtigen Moment ausgestattet ist. Wie kurz vor der Pause, als er nach einem Dreißig-Meter-Sprint den Ball nur hinüberschob zum neben ihm auftauchenden Billy Reina, für den der Weg damit offen war zum 0:2.
Womit eine neue Diskussionsrunde hätte eröffnet werden können: Nachdem Dedé schon früh „ein Geschenk Gottes“ (Dedé) per sehenswertem 25-Meter-Schuss im Freiburger Tor verpackt hatte, lag der SC Freiburg nämlich im dritten Spiel in Folge kurz vor dem Pausenpfiff scheinbar aussichtslos mit 0:2 zurück. Aber die Rede über diesen merkwürdigen Hang zum Wiederholungstätertum stoppte Schiedsrichter Alfons Berg mit einem ebenfalls geschenkten Elfmeterpfiff, der Freiburg ins Spiel zurückbrachte. In ein Spiel, bei dem die Fußballwelt plötzlich seitenverkehrt erschien: Weil der Sport-Club vor allem über eine Willensleistung Boden gut machte und den Ausgleich erzwang. Und weil gegen die kämpferische Anstrengung der Einheimischen der bessere Kombinationsfußball und mit zunehmender Spieldauer auch wieder die besseren Chancen der Gäste standen. „Man musste öfter die Luft anhalten“, gestand ein vom BVB-Auftritt beeindruckter SC-Trainer Volker Finke, während sein Kollege Matthias Sammer „enttäuscht“ war, dass sein Team „zwei Punkte verschenkt“ hatte.
Worüber auch noch zu sprechen gewesen wäre, wenn beim analytischen Nachklapp nicht plötzlich jeder nur noch von der 62. Minute geredet hätte. Da hatte Volker Finke mit dem einwechselbereiten Zoubaier Baya an der Außenlinie gestanden, und es schien, als würde sich Wladimir But zum Gang in die Kabine bereit machen, bevor sich Soumaila Coulibaly wild gestikulierend einmischte – und das Wechselmanöver völlig überraschend abgebrochen wurde. Hätte Finke nach Coulibaly, Diarra und Sellimi ums Haar den vierten Nicht-EU-Ausländer auf den Platz geschickt und seinem Team damit ein 0:3 am grünen Tisch eingehandelt? „Sie können versichert sein“, sagte der SC-Trainer, „wir hätten Baya nicht für But eingewechselt.“ Schon zur Pause wäre der Tausch Baya gegen Sellimi vorbereitet worden. Auch But hatte allerdings Probleme mit den schwindenden Kräften. In der ominösen Situation hätten beide signalisiert, dass sie noch weitermachen könnten, sagte Finke. Aber warum war die Fortführung des Spiels dann für einen Wechsel unterbrochen worden?
Der vielen Fragen leid, präsentierte Finke eine Überraschung, die „wir noch unterm Deckel halten wollten“. Boubacar Diarra, der Innenverteidiger aus Mali, sei „seit drei Wochen auch im Besitz eines französischen Passes“, und die Pseudodiskussion mithin ohne Basis. „Das Begrüßungsschreiben des französischen Staatspäsidenten Chirac“ hatte Finke höchstpersönlich gesichtet.
Was wohl wahr ist. Nur ist Diarra deshalb trotzdem kein französischer Staatsbürger. Die einjährige Wartefrist nach der Antragstellung läuft nämlich erst im April ab, auch wenn Monsieur Chirac sein bienvenue schon geschickt hat. So jedenfalls erläuterte SC-Manager Andreas Rettig später den Sachstand. Deshalb war auch Rettig „kurz erschrocken“, als mit Baya der vierte Nicht-EU-Ausländer an der Linie stand. Es sei aber „ein kurzer Schreck gewesen“, sagte Rettig. Er habe sich schnell daran erinnert, dass Finke früher Lehrer war, und „dieser Berufsstand, kann ja bekanntermaßen bis drei zählen“.
SC Freiburg: Golz - Müller, Kehl, Diarra - Willi (46. Kohl), Zeyer, Coulibaly, But (80. Konde), Zandi - Sellimi (72. Baya), IaschwiliBorussia Dortmund: Lehmann - Kohler, Metzelder - Evanilson, Heinrich, Rosicky, Ricken, Nerlinger, Dedé - Bobic, ReinaZuschauer: 25.000; Tore: 0:1 Dede (19.), 0:2 Reina (44.), 1:2 Sellimi (45./Foulelfmeter), 2:2 Sellimi (58.)
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