: „Keine Schüsse aus der Hüfte“
Interview: KATHARINA KOUFENund BERNHARD PÖTTER
taz: Herr Bodewig, braucht es schon wieder die nächste Bahnreform?
Kurt Bodewig: Was heißt hier nächste Bahnreform? Wir müssen die Bahnreform erfolgreich vollenden.
Aber die Ziele der Reform von 1994 sind gescheitert: Weder schreibt die Bahn schwarze Zahlen noch steigt der Anteil der Schiene.
Die Bahnreform war notwendig. Ohne sie sähe die Situation bei der Bahn düster aus. Die Reform hat die Produktivität des Unternehmens erhöht. Unser ehrgeiziges Ziel ist, den Anteil der Schiene am gesamten Verkehrszuwachs zu erhöhen. Wir reden hier vom System Schiene, und die Deutsche Bahn AG ist davon nur ein, wenn auch entscheidender Teil. Auch andere Eisenbahnunternehmen können einen Teil dazu beitragen.
Wie viel Konkurrenz braucht denn die Bahn? Soll sie weiter ihr eigenes Netz betreiben, oder soll das eine unabhängige Stelle übernehmen?
Wir brauchen funktionierenden Wettbewerb auf der Schiene. Daher prüfen wir jetzt, wie die Trennung zwischen Bahnnetz und Bahnbetrieb zu verwirklichen ist. Es geht dabei nicht mehr um das Ob. Die Frage ist nur noch, wann und wie. Es gilt, noch viele Details zu klären. Bis alles umgesetzt ist, werden wohl noch vier bis fünf Jahre vergehen. Neoliberale Experimente und Schüsse aus der Hüfte wie in Großbritannien wird es mit mir nicht geben, weil ich denke, dass man bei einem solchen Schritt keinen Versuch frei hat.
Sie hätten eine Menge Geld mehr und eine Menge Probleme weniger, wenn Sie einen Teil der Bahn, sagen wir 25 Prozent, an einen externen Konzern veräußern würden.
Ich höre diese Vorstellung mit Interesse. Können Sie einen Namen anbieten?
Es gibt japanische Interessenten.
Ernsthaft? Ich möchte eine Vielzahl mittelständischer Unternehmen auf der Schiene, aber nicht den Kampf der Giganten, das heißt strategische Besetzung von Linien, die nicht aus einer Kundenorientierung erfolgt, sondern einer Marktaufteilungsstrategie. Ich setze auf mittelständische Orientierung. Wo sich die Bahn zurückzieht, habe ich ein Interesse daran, dass regionale Anbieter einsteigen, weil ich glaube, dass sie viel Know-how einbringen. Daher kann Mora C Chancen für mehr Wettbewerb auf der Schiene bieten.
Bahnchef Mehdorn soll in der Aufsichtsratssitzung am 14. März seine Finanzplanung vorlegen. Er sagt aber, ich mache einen Plan nicht für fünf Jahre, wenn ich nur für drei Jahre das Geld garantiert bekomme.
Die Bahn hat Finanzzusagen vom Bund für die nächsten drei Jahre und damit Investitionssicherheit bis 2003. Mit rund 9 Milliarden Mark erreichen wir dieses Jahr wieder die Allzeit-Höchstmarke von 1995 bei den Investitionen. Das ist eine gute Leistung. Und im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen investieren wir die UMTS-Erlöse in die Beschleunigung der Schiene und nicht in teure Prestigeobjekte.
Die Bahn verbaut Milliarden in teure und vielleicht unrentable ICE-Strecken. Kann man das nicht stoppen?
Nein, weil das totes Kapital werden würde, wenn wir Prozesse unterbrechen. Ich will aber die Bahn nicht aus der Verantwortung lassen. Es ist nicht Herr Mehdorn direkt verantwortlich, genauso wenig wie ich. Es war der Vor-Vorgänger von Herrn Mehdorn und es war Herr Minister Wissmann, unter deren Verantwortung diese falschen Entscheidungen getroffen worden sind. Verträge wurden aber geschlossen.
Das Problem ist doch: Ist die Bahn ein Unternehmen, dann muss sie rentabel sein und Strecken stilllegen. Oder ist sie ein öffentlicher Versorger, dann darf man sie nicht nur am Umsatz messen.
Die Bahn ist mit der Bahnreform ein eigenes Unternehmen geworden, das zwar in Bundesbesitz ist, aber als Unternehmen agiert. Sie muss unternehmerisch handeln und sich mit intelligenten Systemen durchsetzen. Meine Vision ist die Kundenbahn, die ohne Subventionen Erfolg hat, weil sie preiswerte und attraktive Angebote liefert.
Also muss sie besser planen, statt Strecken stillzulegen?
Das sind doch hier nicht die Alternativen. Bei einem Schienennetz von 38.000 Kilometern gibt es auch Strecken, die vom Bevölkerungsaufkommen nicht ökologisch und ökonomisch sinnvoll mit der Bahn bedient werden können. Es kann sein, dass der voll besetzte Bus mit 40 Plätzen sich besser rechnet und ökologischer ist als ein Regionalzug. Es kann aber sein, dass ich mit einer gut ausgebauten, gut vertakteten Schienenverbindung mehr Verkehr hole, den ich sonst gar nicht gewinnen könnte.
Beim Güterverkehr ist von Erfolg wenig zu sehen. Die Güterverkehrszentren, die auf kombinierten Verkehr zielen, sind ein Flop. Sie werden nicht angenommen und sind unrentabel.
Man muss alle Verkehrsträger miteinander kombinieren. Es macht keinen Sinn für einen Betrieb, der vielleicht nur einmal im Monat einen Wagen in den Verkehr bringt, eine eigene Gleisstrecke zu unterhalten. Da ist der Lkw wesentlich wirtschaftlicher. Die Betriebe müssen so vernetzt werden, dass es sich lohnt, noch mehr Verkehr auf die bestehenden Gleise zu bringen. Güterverkehrszentren müssen die betreiben, die ein ökonomisches Interesse daran haben, vor allem Spediteure.
Also braucht die Bahn Konkurrenz?
Dem System Schiene kann Konkurrenz unter den Wettbewerbern und mit anderen Verkehrsmitteln nicht schaden. Hilfreich im Wettbewerb sind die regionalen Kenntnisse. Eine Hafenbahn ist immer in der Lage, neben dem Hafen auch die umliegenden Bereiche mitzubeliefern. Da haben sie ein großes Know-how, da haben sie Kontakte, das muss man produktiv umsetzen. Ich bin sicher, dass wir bald mehr Anbieter im regionalen Güterverkehr haben.
Bis zum Jahr 2015 soll der Güterverkehr um 64 Prozent zunehmen. Ist Mobilität bei uns in Deutschland nicht einfach zu billig?
Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben etwa im Straßengüterverkehr einen Verfall der Frachtraten in einem ganz dramatischen Maße. Das hängt unter anderem mit dem ruinösen Wettbewerb auch aus Staaten Mittel- und Osteuropas zusammen. Damit kann kein deutsches Unternehmen konkurrieren. Deswegen haben wir ein Gesetz zur Bekämpfung illegaler Beschäftigung im Güterverkehr in Rekordzeit ins Kabinett gebracht. Übrigens: Auch die entfernungsabhängige Lkw-Pauschale ab 2003 wird die Chancen der Schiene im Vergleich zur Straße erhöhen, gleichzeitig muss Leerverkehr auf der Straße deutlich reduziert werden.
Das ist ein frommer Wusch.
Kein frommer Wunsch, sondern mit der Lkw-Maut ab 2003 Wirklichkeit. Mit der Lkw-Gebühr steigen wir ein in die Nutzerfinanzierung von Verkehrswegen. Wir müssen einen sinnvollen Ausbau der Infrastruktur betreiben. Das heißt für mich, mit unserem „Antistauprogramm“ Lückenschlüsse zu finanzieren, aber auch den sechsstreifigen Ausbau an Autobahnstrecken mit permanenten Staus. Zur Umsetzung dieses Programms wollen wir eine Verkehrsinfrastrukturgesellschaft gründen. Die verteilt die Mittel aus der Lkw-Maut wieder zweckgebunden zur Investition in die Infrastruktur von Straße, Schiene und Wasserwegen.
Die Grünen fordern eine Lkw-Maut von 25 Pfennig je Kilometer.
Mit der Lkw-Maut will ich die Beteiligung der Lkws an den Wegekosten deutlich erhöhen. Die Lkw-Maut könnte dann auch höher ausfallen, als von den Grünen gefordert. Allerdings muss gleichzeitig ein Systemwechsel beim Lkw eingeführt werden, weg von der Steuerfinanzierung hin zu Nutzergebühren für den Lkw.
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