: Aus dem Purgatorium der Pubertät
Was verbindet halbwüchsige Vampirjäger mit normalen Teenagern? Sie kommen aus derselben Hölle des Erwachsenwerdens. Das Warner Brothers Network verkauft Jugendserien wie „Buffy“ oder „Dawson’s Creek“ en gros nach Deutschland und liefert gute Storys und hübsche Schauspieler dazu
von TILL OTTLITZ
Warner Brothers kennt man in Deutschland wegen Bugs Bunny, Hollywoodfilmen und vielleicht auch als Plattenfirma WEA. In Amerika bietet der Medienriese seit Jahren auch einen eigenen Fernsehkanal an – und der kennt nur eine Zielgruppe: die amerikanischen Durchschnitts-Teenager. Der Warner-Brothers-Kanal (WB) hat so überdrehte und spannende Jugendserien entwickelt, dass inzwischen auch deutsche Fernsehsender damit ums junge Publikum kämpfen. „Buffy“, „Dawson’s Creek“, „Charmed“, „Sabrina“, „Roswell“ und „Angel“: Jugendserien von WB haben sich im deutschen Fernsehprogramm gute Sendeplätze erobert. Ihre Helden sind Teenager-Hexen, Teenager-Vampirjäger, außerirdische Teenager und auch mal ganz normale Teenager.
Ausnahmslos aufreizend gut aussehende Teenager, weswegen an Warner-Brothers der Ruf des seichten „Teen-Sex-Senders“ klebt. Die Serien provozieren Eltern zu Kommentaren von der Sorte: „Mir sagt das ja nichts. Aber die jungen Leute mögen es.“ Erstaunlich trittsicher umgeht WB die Abgründe des Jugend-Genres. Weder verkommen die Serien zum Ball der Millionärsbälger und Schönheitsköniginnen, wie „Beverly Hills 90210“, noch erheben sie den Aufklärungsanspruch eines Pickel- und Schamhaar-Realismus der heute weithin vergessenen 80er-Jahre-Serien wie „Degrassi Junior High“. Und das alles mit überraschenden Geschichten, guten Schauspielern und, erstaunlicherweise, sogar etwas Lebensnähe.
Zwei Beispiele. Sunnydale ist eine sonnige Kleinstadt und liegt direkt am Höllenschlund. Ja, wirklich am Höllenschlund, dem jede Nacht Vampire und Dämonen entsteigen. Und es gibt nur eine, die den ganzen Bösewichtern das Leben auspfählt: Buffy, inzwischen im ersten Uni-Semester, hauptberuflich aber Vampirjägerin mit dem besonderen Kickboxtalent. Gespielt wird sie von der 22-jährigen Sarah Michelle Gellar, die inzwischen auch in Hollywoodfilmen erfolgreich den feuchten Traum aller Schuljungen gibt. Als Buffy haut sie Horden von Vampiren was auf die Eckzähne, sehnt sich neben ihrem Geheimjob nach einem Liebesleben und streitet ständig mit ihrer Mutter. „Du tust immer so, als wenn deine Probleme das Ende der Welt wären“, sagt die einmal. Wenn Mama wüsste!
Die Serie mixt die Filmgenres so gekonnt, dass sie auch mit Comedy-Grusel-Action schlecht beschrieben ist. Autor und Regisseur Joss Whedon bedient dabei sich stets der gleichen Metapher: Erwachsenwerden ist die Hölle – und zwar die echte.
Zweites Beispiel: Capeside ist ein Fischerkaff in Neuengland, hübsch, aber geheimnislos. Und immer, wenn ihr alles zu viel wird, rudert Joey über den Fluss und fensterlt bei ihrem Schulfreund Dawson. Dann wird ein Video geguckt und geredet. Viel geredet. „Dawson’s Creek“ lässt sich Zeit. Eine halbe Staffel brauchte Joey, um zu merken, dass sie ihre Kindergartenliebe Dawson überwunden hat und nun Pacey liebt. Langweilig? In der jüngsten Folge wurde ein Tag viermal aus verschiedenen Perspektiven wiederholt. Die Folge blieb trotzdem spannend, wo doch deutsche Serienschreiber ihr Publikum schon beim ersten Mal langweilen.
Zugegeben, die Jugendlichen aus Capeside analysieren ihre Probleme stets so tiefgründig und selbstironisch, als seien sie im siebten Psychologiesemester. Doch das Grundmotiv der Serie kommt der jugendlichen Seele erstaunlich nahe: Was soll ich aus meinem Leben machen? Was macht mich als Persönlichkeit aus?
Ausgedacht hat sich die Serie Kevin Williamson. Mit seinem Drehbuch zu „Scream“ holte er vor ein paar Jahren das Horrorgenre wieder ins Leben, härter und selbstironischer als je zuvor – jetzt setzt er mit „Dawson’s Creek“ die Standards bei Jugendserien. Williamson schuf jugendliche Charaktere mit vielen Schichten. Über eine komplette Staffel zog sich das Coming-out von Jack. Lange genug, um alle Probleme eines Provinzschwulen auszubreiten, samt kleiner Tabubrüche. Den angeblich ersten TV-Kuss zwischen zwei Jungen feierten Schwulenverbände als „historisch wichtigen“ Schritt, während die üblichen Homophoben Warnungen ins Internet stellten, vor dem „Höhepunkt einer sorgfältig geplanten Strategie, die Herzen und Sinne der Amerikaner umdrehen will“. Amerika ist also aufgemischt, „Buffy“ läuft inzwischen in Deutschland mittwochs um 20.15 Uhr auf Pro7 und „Dawson’s Creek“ sonntags um 17 Uhr auf Sat.1. Die anderen WB-Serien rücken auf immer bessere Sendeplätze – und die Ideen gehen den Talenten von WB nicht aus.
Diesen Mittwoch zeigt Pro7 das Schlimmste, was Joss Whedon bisher den Darstellern von „Buffy“ abverlangt hat: Ein Fluch hat den Einwohnern von Sunnydale die Stimmen genommen. Niemand spricht. 27 Serienminuten lang.
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