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Tipp-Kick mit Stinkefinger

Zuschauertumulte, gebrochene Polizistenknochen, Sicherheitsverwahrung der Gäste und ein Trainer als mobiler Abfangjäger: Kaiserslautern siegt 1:0 in Eindhoven und steht nun im Uefa-Cup-Halbfinale

aus Eindhoven BERND MÜLLENDER

Als der 1.FC Kaiserslautern gestern (soweit bekannt vollzählig und unversehrt) wieder die Zivilisation erreicht hatte, durfte man sich über den zugelosten Halbfinal-Gegner CD Alavés freuen, den Trainer Andreas Brehme schon zuvor als seinen Wunschkontrahenten auserkoren hatte und den er nun pflichtgemäß mit Lob überschüttete: „Die haben eine gute Mannschaft, was sie mit dem Erreichen des Halbfinales ja bewiesen haben.“

Eindhoven lag hinter ihnen, die eigentlich langweilige Verwaltungsstadt in Brabant, wo es, so Andreas Brehme, „lebensgefährlich“ zugegangen war. Nicht erst bei der Randale auf dem Platz. Als der gesamte Lauterntross kurz vor Mitternacht sicherheitshalber noch tief in den Stadion-Katakomben verweilte, berichtete der Busfahrer vom „Feuerwerk nachts vor den Hotelfenstern“ und „den Provokationen den ganzen Tag über“. Dazu formte er zwei Stinkefinger und reckte sie in die Luft. „So. Überall. In der ganzen Stadt.“

Draußen waren derweil Autos demoliert (vornehmlich deutsche) und Polizisten mit Steinen beworfen worden. Zehn PSV-Randalierer waren festgenommen, 15 Polizisten und Ordner verletzt, davon drei Ordnungshüter mit Knochenbrüchen im Krankenhaus. Überall Hass. Auf die Deutschen. Wieder einmal. Wieder in Eindhoven. Wie schon beim Bayern-Gastspiel hier vor anderthalb Jahren und diverse andere Male zuvor.

Warum? Klar, weil es gegen die bösen Nachbarn wieder mal danebengegangen war. Und weil der giftige Honig der Provokation überall klebt. Diesmal war es in einer Nebenrolle die Uefa, die Eindhovens lange verletzten und fahrlässig nicht gemeldeten Stürmerstar Ruud van Nistelrooy die Sondererlaubnis zum Einsatz verweigert hatte. Das empfand man als bürokratisch, unsportlich und fatal deutschenbevorteilend. Die Antwort: Stadion-Transparente mit der Aufschrift „www.uefa.fuck“.

Und dann Mario Basler. Seit Idealfeind Lothar Matthäus nicht mehr qua aktive Existenz holländische Hools das Kotzen lehrt, musste Ersatz her. Und war mit Basler schnell gefunden: Ironische Vorberichte in niederländischen Zeitungen über den sündenfreudigen „Super-Mario“, der in Wahrheit ein „Weißbier-Mario“ aus dem Umfeld von Rotlicht und Zockertum sei, heizten die Stimmung auf: Basler, „ein 24-karätiges Enfant terrible“ schrieb etwa das Dagblad De Limburger.

Dann übertraf der Bälle-Brillant die Erwartungen noch. Dynamisch und spielstark – überragend der Russe Yuri Nikiforov als Antreiber – rannte Eindhoven an, um das pechige 0:1 aus dem Hinspiel wettzumachen. Basler, Libero weit hinter Abwehr, drosch die Bälle zurück. Humorlos. Gern aus dem Stand. Möglichst weit. Und hoch dazu. Mit zunehmender Spielzeit immer öfter, höher, weiter. Baslers bewegungsarme Interpretation des Abwehrchefs war eine Verhöhnung modernen Fußballs.

Bald glich der Super-Mario einem Tipp-Kick-Männlein, das auf Knopf-/Kopfdruck bolzt. Oder war es mehr eine statische Figur beim Tischkicker? Jedenfalls provozierend banal zum Ärger der „technisch überlegenen Gegner“ (Brehme), die einen überlegen lässt, was die Debatte um Spielsysteme und Taktiken nutzt, wenn ein alternder Raucher und Trinker samt munter mitkämpfender Defensivkameraden mit Fußball aus Fritz Walters Zeiten erfolgreich alle Spielkunst zu konterkarieren weiß.

Die Eskalation kam dann schnell. Frust über Brugginks Elfmeter (52.), der Koch anknallte. Beste Chancen, die Eindhoven vergab gegen einen 1. FCK, der mit überraschend vielen Offensivleuten ohne Offensivwirkung spielte. Dann der Strafstoß für Lautern (PSV-Torwart Wattereus: „Absolut unberechtigt“). Basler nimmt den weiten Weg nach vorne auf sich und trifft cool im Regen von Feuerzeugen, Apfelsinen und Schokoriegeln. 0:1 nach 71 Minuten. Und der Superkarat-Kicker macht (Brehme: „Das musste nicht sein, hab ich dem Mario auch gesagt.“) mit frechen und provozierenden Gesten Richtung Fan-Tribüne noch schön Stimmung.

Der alberne Platzverweis ihres Kapitäns van Bommel gibt den Randalehools den Rest. Zu Hunderten rasen sie plötzlich auf das Sicherheitstor zu und stürmen Richtung Platz. Brehme: „Ich sah die Schiedsrichter an mir vorbei in die Kabine sprinten. Da hatten wir auf dem Platz auch nichts mehr zu suchen.“ Rette sich, wer kann. Wer blieb, war PSV-Coach Erik Gerets, der mit Mut und weit ausgebreiteten Armen als mobiler Abfangjäger auf die Fans zulief. Und dank seines offenbar großen Respekts schaffte, was Ordnern und der spät und gemütlich auftauchenden Polizei nicht gelang: Die Hasshools trollten sich wieder. Nach 15 Minuten Pause konnte der Rest weggespielt werden.

Aus dem Mut des Erfolgsordners Gerets („Die tun mir nichts. Das wusste ich.“) wurde nachher Übermut: Sieben Jahre habe er in Eindhoven gespielt, fast zwei Jahre sei er jetzt Trainer, aber mit den Fans sei doch „nie etwas gewesen“.

Vergessen hatte er zum Beispiel die Bayern 1999 im Tomaten-Regen und seine eigenen vorbildhaften Rangeleien mit Lothar Matthäus damals im Kabinengang. Kollege Andreas Brehme allerdings, der nach dem glücklichen Weiterkommen vor Stolz zu platzen schien, wollte Erik Gerets noch „ein Riesenkompliment zollen“: Klasse, wie „der sich in die Meute geschmissen hat.“

PSV Eindhoven: Waterreus - Faber, Nikiforow, Hofland (46. van der Weerden), Bouma - Rommedahl (75. Gakhokidse), Van Bommel, Vogel, Kolkka (65. Ramzi) - De Jong, Bruggink1. FC Kaiserslautern: Georg Koch - Basler - Harry Koch (46. Grammozis), Ramzy - Buck, Ratinho (90. Komljenovic), Hristow, Pettersson, Strasser - Klose (55. Reich), Lokvenc Zuschauer: 31.000Tor: 0:1 Basler (71./Foulelfmeter)Gelb-rote Karte: Van Bommel (73.) wegen wiederholten Foulspiels

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