: Siegen heißt mit Beck regieren
aus Mainz KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
„Ein Kopf. Mehr als ein Gesicht.“ So wirbt die Union in Rheinland-Pfalz für ihren Spitzenkandidaten Christoph Böhr (47), den blassen Fraktionsvorsitzenden der Partei im Landtag. Sehr zum Amüsement etwa von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), den die riesigen Plakate mit dem „Kopf“ des Herausforderers von Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) bei seinen Wahlkampfeinsätzen im Land der Rüben und Reben zu ketzerischen Randbemerkungen animieren: „Was soll der sonst auf dem Hals haben? Aber dass mir jetzt keiner behauptet, da säße ein anderes Körperteil drauf!“ Ähnlich angeregt reagiert auch Bundesaußenminister Joschka Fischer auf Wahlveranstaltungen: „Was für ein Kopf! Was für ein Gesicht! Jetzt bin ich ganz sicher: Der Böhr ist ein ganz braver Kerl – und gut für knapp dreißig Prozent.“
Dass mit Böhr kein Staat zu machen ist, weiß auch die Union selbst. Wer es gut mit ihm meint, nennt denn promovierten Philosophen einen „grundanständigen, soliden Kerl“. Doch gerade einmal siebzehn Prozent der Wählerinnen und Wähler in Rheinland-Pfalz glauben, dass Böhr der bessere Ministerpräsident wäre. Selbst viele Anhänger der Union würden bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten den Sozialdemokraten Beck wählen. Die Union wird immerhin noch mit „30 Prozent plus x“ gehandelt.
Das ist keine Marge, die Wirtschaftsminister Hans-Artur Bauckhage von der FDP veranlassen könnte, auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, die Koalition mit der SPD aufzukündigen. Im Gegenteil. Bäckermeister Bauckhage will im Revier der CDU wildern: „Im Grunde ist es doch egal, ob die Union 30 oder vielleicht 38 Prozent bekommt“, sinnierte er Anfang März auf dem Bezirksparteitag der Freien Demokraten in Germersheim. Aber mit drei Prozent mehr auf der Habenseite könne die FDP dagegen das gemeinsame Regierungsschiff mit dem schwergewichtigen Beck und seinen „vielen linken Sozialdemokraten“ darauf noch besser auf „bürgerlichem Mittelstandskurs“ halten. Bauckhage fordert die Wählerinnen und Wähler der Union ganz unverblümt dazu auf, am nächsten Sonntag ihr Kreuz bei der FDP zu machen. Stimmen für die Union seien „verlorene Stimmen“. Und die Aufforderung, FDP zu wählen, geht auch gleich noch an die „Mehrheit der SPD-Wähler“. Nur so könne in Mainz das „rot-grüne Chaos“ verhindert werden.
Rot-gelbes „Weiter so“
Der populäre Beck und seine Sozialdemokraten werden trotz der Sirenengesänge der FDP an die Adresse der roten Stammwählerschaft die Gewinner sein. Aber wird auch die rot-gelbe Koalition nach dem 25. März in ihre dritte Legislaturperiode gehen können? Beck glaubt fest daran. Bauckhage auch. In den Umfragen werden die Sozialdemokraten mit 43 bis 46 Prozentpunkten gehandelt; die FDP mit 8 bis 9. Eine satte Mehrheit also für die SPD/FDP-Koalition?
Die Grünen, derzeit mit 6 Prozent notiert, wollen – wie Böhr auf der anderen Seite – den Umfragen nicht gauben. Aber an Joschka Fischer als Zugpferd im Wahlkampf. Und an die positive Ausstrahlung von Renate Künast. Die neue grüne Bundes-Verbraucherschutzministerin tingelt seit Wochen durch die Kuh- und Schweineställe im Hunsrück, im Pfälzer Wald und in der Eifel. Und deshalb sehen sich die Grünen nicht auf verlorenem Posten, sondern glauben fest an einen steilen Aufstieg in diesem landwirtschaftlich strukturierten Bundesland – nach all den großen Krisen in der Agrarwirtschaft.
Es könnte spannend werden, wenn es den Grünen gelingen sollte, im Rennen mit der FDP um den dritten Platz aufzuholen. Auch wenn sich Beck klar für die Fortsetzung der sozial-liberalen Koalition ausgesprochen hat, dürfte der Basisdruck auf ihn dann zunehmen; und der aus Berlin auch. Schließlich würde eine sozial-ökologische Koalition auch in Mainz – achtzehn Monate vor der nächsten Bundestagswahl – Politik im Land und im Bund aus einem Guss ermöglichen und der Bundesregierung das Leben mit dem Bundesrat erheblich erleichtern.
Auch programmatisch gibt es in Rheinland-Pfalz eigentlich mehr Gemeinsamkeiten zwischen Sozialdemokraten und Grünen als zwischen SPD und FDP. Beim Topthema Bildung etwa fordern die Grünen mehr integrierte Gesamtschulen und die Lernmittelfreiheit an allen Schulen – wie die Sozialdemokraten, die zusätzlich noch für die flächendeckende Einführung der Ganztagsschule plädieren.
Bauckhage dagegen redet oft und gerne von den „Eliteschulen“, die überall im Lande einzurichten seien. Ein Volk, das seine Eliten pflege, brauche nämlich keine Inder mehr. An integrativen Gesamtschulen dagegen ist die FDP nicht interessiert. Und auch nicht an der Lernmittelfreiheit. Auch in der Landwirtschafts- und Verbraucherschutzpolitik gibt es mehr Gemeinsamkeiten zwischen SPD und Grünen als zwischen SPD und FDP. Insbesondere nach dem ersten BSE-Fall auch in Rheinland-Pfalz erst vor wenigen Tagen forderten auch Sozialdemokraten – wie die Grünen schon lange – eine neue, am Verbraucherschutz orientierte Agrarpolitik. Bauckhage dagegen will an der subventionierten Landwirtschaft festhalten: „Im Interesse unserer Bauern“. Von der Umstellung auf die ökologische Landwirtschaft hält er nichts.
Arbeit am grünen Selbst
Ob das Wahlergebnis den Grünen erlaubt, sich von der Rolle der ewigen Oppositionspartei zu verabschieden, hängt nicht zuletzt von der Akzeptanz ihrer Spitzenkandidatin Ise Thomas draußen im Lande ab. Und davon, ob es den Grünen glaubwürdig gelungen ist, sich von ihrem alten „Fundi-Image“ zu emanzipieren. Daran arbeitet die 41-jährige Diplompsychologin hart. Bei ihren Wahlkampfauftritten kann Thomas mit einem Pfund wuchern: den Erfolgen der rot-grünen Bundesregierung. Und herzlich umarmte sie bei Wahlveranstaltungen „unseren Joschka“. Die Attacken von Union und FDP auf die Historie von Joschka Fischer im Speziellen und auf die 68er im Allgemeinen, haben die Flügel der Partei offenbar auch in der Diaspora zusammengeschweißt. „Wir und Joschka haben eine Vergangenheit, auf die wir alle stolz sein können“, konstatierte der ehemalige Fundamentalist Bernhard Braun – Platz zwei der Landesliste – in Ludwigshafen unter dem tosenden Applaus der 2.000 Besucher einer grünen Wahlkampfveranstaltung. Braun, den Kämpfer gegen die Chemieindustrie, lieben sie; Ise Thomas achten sie.
Bei aller Verschiedenheit haben die Frau von den Grünen und der Mann von der FDP ein Problem gemeinsam: ihren Mangel an Außenwirkung. Thomas ist klug, aber keine Powerfrau, und hart schon gar nicht. Das kaschiert sie mit ihrem Outfit. Wie einst Jim Morrison zieht sie gerne schwarze Jeans an und dazu eine Kopie der wattierten Jacke, die Marlon Brando im Kultfilm „Die Faust im Nacken“ trug. Das gefällt den grau gewordenen Grünen. Und auch, dass sie am Abend oft im kleinen Schwarzen (oder Grünen) auftritt. Nur rhetorisch kann Thomas mit ihrer dünnen Stimme kaum überzeugen. Und was noch schlimmer ist: Sie verhaspelt sich oft und verschenkt damit Pointen. Etwa die vom „Laufställchen“, in dem die FDP die SPD seit zehn Jahren gefangen halte. Oder die vom „Doppelmoppel“ – einem Wahl-Plakat, auf dem Bauckhage und FDP-Landeschef Rainer Brüderle als Doppelkopf auf einer Skatkarte zu sehen sind.
Bauckhage ist allerdings ein noch schlechterer Redner. Und das Outfit des 58-Jährigen löst bei modebewussten Freidemokraten heftige Abwehrreaktionen aus. Baukhage trägt nicht nur gern zerknitterte braune Anzüge, sondern dazu auch unpassende Krawatten. Wenn er redet, steckt eine Hand in der Hosentasche; mit der anderen gestikuliert er wild. Bauckhage weiß, dass er selbst von den eigenen Leuten immer am beredten und manchmal auch – im Umgang mit Weinköniginnen geübt – charmanten Rainer Brüderle gemessen wird. Da hat er keine Chance. Auch beim Wahlvolk nicht. Deshalb muss Brüderle, der längst schon in Berlin im Bundestag sitzt, mit auf die Plakate der Partei.
Not und Elend also kämpfen um die Wähler und dann vielleicht um den Platz an Becks Seite. Es wird schwer werden für die Grünen. Aber noch nie waren sie so nahe dran.
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