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Vorsichtiger, realistischer, skeptischer

■ Bremer Bevölkerungsentwicklung war in den 90er Jahren negativ / Senat kann derzeit keine Prognose vorlegen

Während es vor einigen Jahren noch Ziel der bremischen Investitionsförderung war, die Zahl der Arbeitsplätze und in der Folge davon auch die Zahl der Einwohner um etwa zehn Prozent zu steigern, ist der Bremer Senat heute vorsichtiger, realistischer oder skeptischer - wie man will. „Der aktuelle Finanzrahmen unterstellt eine Konstanz der bremischen Einwohnerzahlen“, heißt es in dem jüngsten Haushaltsbeschluss des Senats für die Jahre 2002/2003. Die Folgen sind dramatisch: Vor fünf Jahren ging das Finanzressort noch in Modellrechnungen davon aus, dass etwa ein Drittel des strukturellen Defizits im Bremer Staatshaushalt durch eine überproportionale Steigerung der Einwohnerzahlen beseitigt werden könnte. Denn die Einnahmeseite verbessert sich aufgrund des Länderfinanzausgleiches vor allem durch höhere Einwohnerzahlen - das Finanzressort geht um 6.000 Mark pro Kopf aus, von denen nur 2.000 Mark an „Kosten“ für zusätzliche Einwohner abgezogen werden müssten. Zusätzliche Arbeitsplätze für sich genommen schlagen sich in steigenden Steuereinnahmen vor allem dadurch nieder, dass sie neue Einwohner „anlocken“.

Dies ist der Hintergrund, vor dem die CDU-Bürgerschaftsfraktion um detaillierte Auskunft über die Bevölkerungsentwicklung in Bremen beantragt hat. Die Antwort liegt nun vor, aber eine Prognose, wie sie im Rahmen der „langfristigen Globalplanung“ zwingend erforderlich wäre, will der Senat auf absehbare Zeit nicht mehr wagen. Begründung: Erst wenn „im Rahmen der ISP-Evaluierung eine Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung erstellt worden ist“, könnten die Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung abgeschätzt werden. Und auch im Hinblick auf die Erfolgskontrolle des Investitions-Sonder-Programms (ISP) ist der Senat unsicher: Die sei „zurzeit noch nicht absehbar“.

Was der Senat der CDU mitteilen kann, sind also nur die statistischen Daten für die vergangenen Jahre. In der ersten Hälfte der 90er Jahre gab es große „Zuwanderungs-gewinne“ aus den Ostblock-Staaten, seit der Mitte des Jahrzehnts jedoch sinkt die Bevölkerungszahl Bremens deutlich. Etwa 3.000 bis 4.000 Abwanderungen nach Niedersachsen sind zudem Jahr für Jahr zu verzeichnen. Am 31.12.1999 konnten die Statistiker dabei einmal eine sehr positive Bilanz ziehen: Im Vergleich zum Vorjahr war die stadtbremische Bevölkerung „nur“ um 0,2 Prozent gesunken, die von Bremerhaven allerdings um 3,6 Prozent.

In den gesamten 90er Jahren hatte Bremen einen „Sterbeüberschuss“, es wurden weniger Kinder geboren als alte Menschen starben. Das ist in anderen, insbesondere in süddeutschen Großstädten nicht so. Stuttgart etwa hat einen „Geburtenüberschuss“.

Die außerordentlichen Zuwanderungsgewinne der frühen 90er Jahre aus dem Ostblock haben in Bremen die (normalen) Verluste der zweiten Hälfte der 90er Jahre nicht kompensieren können. In allen westdeutschen Bundesländern bis auf das Saarland ergibt sich dagegen für die 90er Jahre eine insgesamt neutrale oder sogar positive Bevölkerungsbilanz.

In der Bundesstatistik wird der westdeutsche Trend ein wenig gemildert durch die Tatsache, dass alle ostdeutschen, neuen Ländern eine negative Bevölkerungsbilanz haben wie Bremen. K.W.

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