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juttas neue weltAus dem önologischen Gleichgewicht

Das Internet kann ja viel – aber alle sieben Sinne kann das Web noch lange nicht bedienen, nicht einmal in Hannover, wo die Techniker wieder mal ganz allein zu Hause sind. So viel sie auch anstellen – was sie da übers Netz spielen, es schmeckt und riecht immer noch kein bisschen.

Was gelegentlich ziemlich schade ist – in anderen Fällen vielleicht aber wieder ganz in Ordnung, zum Beispiel wenn man aus Versehen auf der Homepage der städtischen Abwasserentsorgungswerke oder der Website eines Hühnerzuchtvereins landet. Und genauso zufällig, wie ich nicht auf diese Seiten stoßen will, entdeckte ich gerade unter www.wine-event.de ein Internetprojekt, das verspricht, sinnliche Genüsse ins Netz zu spannen.

Verantwortlich für dieses hehre Ziel ist der Bund Deutscher Önologen. Zuerst dachte ich, Önologen seien Insektenforscher oder auf Trommelfellentzündungen spezialisierte Ohrenärzte. Aber in Wahrheit sind es Weinexperten, weil „oinos“ griechischer Wein ist. Und wenn sich erwachsene Menschen freiwillig als Önologen bezeichnen lassen, dann müssen sie auch verrückte Ideen haben. So veranstalteten sie gerade die erste weltweite Weinprobe, die live im Internet übertragen wurde. Auf der interaktiven Verkostungsliste standen zwölf Rieslingweine aus sechs Ländern; bei einer Webcam-Konferenzschaltung zwischen den beteiligten Weingütern wurden Aroma und Bukett der Traubentropfen von Fachmännern geprüft und weinselig gesprochen. Und jeder vernetzte Weinliebhaber konnte an dem Happening teilnehmen – eben auch via Webcam. „Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, wusste schon Victor Hugo. Das haben die Önologiker beherzigt und sich auf ihre Homepage geschrieben – und, zugegeben: Auf diesen Weinstein der Weisen habe auch ich schon immer gewartet.

Also traf ich alle Vorbereitungen, um an der Digi-Weinprobe teilnehmen zu können. Damit ich meinen eigenen Geschmack mit dem Urteil derWeingurus vergleichen konnte, bestellte ich bei einem Internetweinversand, dem alkolholisierten Bruder von Amazon, unter www.wein24.de die edlen Säfte. Hier klickte ich meine Wünsche nicht wie gewohnt in den Warenkorb, sondern ganz stilvoll in eine Weinsteige. Die wurde mir dann auch prompt einige Tage später nach Hause geliefert. Somit war ich stolze Besitzerin zwölf erstklassiger Rieslinge. Ich verstaute die Flaschen heimlich in unserer Vorratskammer – schließlich wollte ich am großen Tag der Webweinprobe nicht auf dem Trockenen sitzen.

Doch wie es nun mal so ist, wenn man an einem sozialen Brennpunkt wohnt: Das Versteck flog auf, und schon in der ersten Woche musste ichdringend den Weinbrand von Freunden, Bekannten, Nachbarn, Haustieren – und natürlich meinen eigenen – löschen. Und so kam es, dass einem „Ooch komm, eine Flasche können wir doch ausnahmsweise aufmachen!“ ein „Wenn wir noch eine trinken, hast du immer noch zehn“ folgte –und so weiter und so fort. „Geweint wird nicht!“, wehrte ich verzweifelt ab.

Doch vergebens. Es musste ja so kommen: Am Tag des Traubensafts waren noch ganze drei Flaschen übrig, und ich zweifelte daran, dass es sich überhaupt lohnen würde, mit dieser dürftigen Trinkausstattung der Veranstaltung beizuwohnen. Mit Sinn und Sinnlichkeit hätte das ja nichts mehr zu tun, wenn man nicht mitkosten kann! Mir blieb nichts anderes übrig: Ich pfiff auf das Event, ließ die Weinmänner das Netz allein erkunden und schulte meine Geschmacksnerven am Inhalt der verbliebenen Flaschen – ganz ohne sachkundige Anleitung. Aber auch so kann man ohne weiteres aus dem önologischen Gleichgewicht geraten. pechlucky@taz.de

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