: Neubeginn nach zehn Jahren Alibipolitik
Michael Föge, der Berliner Fahrradbeauftragte, im Interview: Die Senatsverwaltung muss in puncto Velo am Nullpunkt beginnen, viel Überzeugungsarbeit ist zu leisten. Ziel ist ein Stadtentwicklungsplan für Berlin
Der Berliner Fahrradbeauftragte und Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), Michael Föge (48), über Stand und Perspektiven der Berliner Radverkehrspolitik.
taz: Fünf Millionen Mark stehen in diesem Jahr für den Bau von Velorouten zur Verfügung. Reicht das aus?
Michael Föge: Mehr könnte in diesem Jahr gar nicht verbaut werden, weil es kaum Vorplanungen gibt.
Kann das vorhandene Konzept ohne weiteres umgesetzt werden?
Es muss zum Teil überarbeitet und den neuen Verhältnissen angepasst werden. Außerdem wurden in dem Konzept nur Straßenführungen benannt, aber keine Baupläne erstellt.
Die Berliner Verkehrspolitik war in der Vergangenheit nicht gerade ein Ruhmesblatt für den nicht motorisierten Verkehr. Wie beurteilen Sie die Gegenwart?
Was Senator Strieder jetzt macht, hätte schon in den 90ern passieren müssen. Letztes Jahr musste seine Verwaltung quasi bei Null beginnen. Der einzige Experte für Radverkehrsplanung ist vor Jahren versetzt worden.
Sie sind mit dem Stand der Dinge zufrieden?
Man muss den Ausgangspunkt berücksichtigen. Über zehn Jahre hat die Verkehrsverwaltung in Bezug auf Radverkehrspolitik fast nur Alibikonzepte geliefert, ohne um sich um die Umsetzung zu kümmern. Der neue Senator konnte nur auf alte Verwaltungsstrukturen zurückgreifen. Seit dem vergangenen Sommer sind wichtige Referate neu eingerichtet. Damit hat die Radverkehrspolitik wieder einen höheren Stellenwert. Am 1. März wurde zusätzlich ein Radverkehrsplaner eingestellt. Leider nur mit einer halben Stelle.
Kann man mit verbeamteten „Betonköpfen“ eine zukunftsfähige Verkehrspolitik entwickeln?
Das ist in der Tat ein Problem. In der Verwaltung gibt es noch viele interne Widerstände. Die Kunst besteht darin, die Mitarbeiter zu überzeugen, Radverkehrsplanung auch mit dem Herzen zu betreiben. Das geht nicht von heute auf morgen. Verwaltungen sind oft beharrlich.
Gibt es Widerstände außerhalb des Senats?
Natürlich. Die Widerstände kommen teilweise aus den Bezirken von Politikern und Verwaltungskräften, die das Rad als Verkehrsmittel noch nicht entdeckt haben: als preiswerte, umweltfreundliche und platzsparende Alternative im Berliner Straßenverkehr.
Welche Ziele gibt es für die Zukunft?
In Berlin werden zurzeit rund zehn Prozent aller zurückgelegten Wege mit dem Rad gemacht. In Bremen sind es 18 Prozent, und die Bundesregierung hält 25 Prozent in Großstädten für praktikabel. Berlin hat also einen enormen Nachholbedarf. Das passiert allerdings nicht von alleine. Der Radverkehr muss insgesamt attraktiver werden, die Balance zwischen Auto, Fahrrad und öffentlichem Verkehr muss neu definiert werden. Dazu ist es notwendig, dass Berlin endlich einen Stadtentwicklungsplan für Verkehr bekommt.
INTERVIEW: TILMAN VON ROHDEN
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