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Jokerfrage bei Jeopardy

Zu Hause im Zeichensystem des Pop: Douglas Coupland, Chronist des Zeitgeists und Pate der „Generation X“, liest im Roten Salon aus seinem neuen Roman

„Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon, Radon“, die Namen der Edelgase aus dem Periodensystem der Elemente, wie es im miefigen Chemiesaal einer beliebigen Schule als Wandtafel hängt, musste fast jeder im Laufe der Schulkarriere mal auswendig lernen. Dabei hätte man mit den Elementen nach Douglas Coupland, dem Autor von „Generation X“, viel mehr anfangen können: „Himmel, Drogen, Prozac, Monokultur, Videorecorder, Magersucht, Geldautomat?“

Seine Liste von Zeichen, die nach Jugendkultur und Kaputtness klingen, füllte auf dem Innencover seines zweiten Romans „Shampoo Planet“ gleich zwei „Popsysteme der Elemente“. Da schreibt jemand mit übergroßem Bezug zur Gegenwart, bemerkten sowohl Kritiker als auch normale Leser schnell. Erwachsenwerden in einer Welt der Marken, Fastfood-Ketten und billige Transkontinentalflüge waren seine Sujets. Eine kleine Rubrik auf einer der vielen Coupland gewidmeten Websites klärt die Basis seines Erfolgs. In „My Coupland Moment“ beschreiben Fans aus der ganzen (westlichen) Welt ein Erlebnis des eigenen Lebens, dass aus einem Coupland-Roman stammen könnte. Umgekehrt empfinden viele Leser eine große Nähe zwischen den Ereignissen im Leben von Couplands Figuren und dem eigenen Leben. Die Frage von Katrin an den Autor am Ende ihres Coupland-Moments klingt dann schon fast wie ein Spontan-Gebet in den Cyberspace: „Doug, do you read this?“

Coupland erscheint als hellsichtiges Überwesen, mit tieferem Einblick ins Leben – ähnlich wie die Programmierer in „Mikrosklaven“ Bill Gates als ihren Ersatzgott verehren. Die US-Kritiker erklärten sich das mit dem süßen Germanismus vom „Zeitgeist“, den Coupland fest in der Hand hielte und aufschriebe. Zumindest in den USA traf er mit „Generation X“ auch ein soziologisches Phänomen und wurde in den Medien zum Sprachrohr erkoren für diejenigen, die zwischen 1965 und 75 geboren wurden – obwohl der Bildhauer mit Kunststudium eigentlich beschrieben hatte, wie diese Generation keine mehr ist, weil sie in kleine Stämme zerfasert. Durch Gen X aber transformierte er selbst vom Schreiber über Popkultur zu einem Stück Popkultur. So bekam er eines Abends eine Menge Anrufe von Freunden, die ihm erzählten, dass er gerade eine Frage in der Ur-Quizshow „Jeopardy!“ gewesen war.

Inzwischen nennt er „Generation X“ unaufgeregt „meine Campbell-Tomatendose“: Er ist damit bekannt geworden, er wird immer wieder danach gefragt werden, aber eigentlich geht es um das nächste Buch. Das ist schon Nummer sechs, heißt „Miss Wyoming“ und schildert das schicksalhafte Aufeinandertreffen von Susanne Colgate und John Johnson im LaLaLand Hollywood. Sie ist ein abgehalfterter Kinderstar und er Produzent von zweitklassigen Actionfilmen. Susan erscheint John in einer Vision während seiner Nahtoderfahrung nach zu viel Drogen. Danach sucht er erst ein besseres Leben als Landstreicher und dann Susan. Doch die Ex-Miss-Teen-USA ist verschwunden.

Angesichts seiner Lesereise ist Vorfreude auf die Stimme des Zeitgeistmeisters kein Problem, er selbst entschuldigt sich aber auf seiner Website erst mal: In Lesungen bekomme man nur die schlechtere Version von Coupland zu sehen, weil die Details des Tourlebens ihm so zu schaffen machen. Was er meint, wird klar, wenn man das Brettspiel „Lesereise“ sieht, das er mal für Tom Wolfe gebastelt hat: Siffige Autos seiner uninteressierten Medien-Begleiterinnen und Sandwiches um kurz vor Mitternacht. Auf der anderen Seite zeigt er in seinen Collagen im Tourtagebuch auch wahre Freude über die Erfahrung der Nähe zwischen Autor und Publikum, wenn er nach einer Lesung schreibt: „Eine Gruppe war gemeinsam extra aus ganz Europa zu meiner Lesung geflogen, sie waren so freundlich und offen. Danach musste ich erst mal hinter einer Säule weinen, weil ich spürte, dass ich tatsächlich ein paar Seelen genauso berührt hatte, wie ich es immer gehofft hatte: Like being in love.“

DANIEL BOESE

So. 25. März, Roter Salon, Linienstr. 227. dt. Passagen gelesen von Milan Peschel (Volksbühne). Collagen: www.coupland.com

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