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Vom Gotteslamm zu ... Dolly

■ Zum Thema Ostasien zeigt die Städtische Galerie witzigerweise zwei Fälle von going-west: die in Hamburg lebende Japanerin Yosikawa und die nach New Mexiko verzogene Bremerin Bea Schlingelhoff

Kann man die heutige Kunst noch nach Länder sortieren, nach Länder ausstellen? Nö. Aber man kann Wechselwirkungen aufzeigen – dachte sich wohl Hans-Joachim Manske. Jedenfalls steckt er ins asiatische Kunstpaket, das die Stadt dieses Jahr schnürt, eine japanische Künstlerin hinein, die seit 1975 mit Unterbrechungen in Hamburg lebt. Entsprechend klingt die (abgekürzte) Ausstellungsliste von Kazue Yoshikawa: –87 Kunstverein Bremerhaven, '90 Galerie Maki, Tokyo, '94 Städtische Galerie Delmenhorst, '97 Galerie House, Tokyo, '98 Galerie Delank, Bremen, Tokyo ecetera. Bremen? Yoshikawa war 1988 Stipendiatin in Worpswede und durfmusste es 1992 ein Jahr als Stadtmalerin in Bremerhaven aushalten. Die aktuelle Ausstellung plante die Städtische schon seit langem. Schön, dass jetzt wegen der Ostasiengeschichte die Bremen Marketing (BMG) Geld und schöne Plakate zuschießt. Sie tut das übrigens zum 1. Mal in der 15-jährigen Geschichte des Hauses, wie Manske dezent spöttelt. Spöttelt wohl deshalb, weil die modernen Finanzierungsgepflogenheiten mit ihren hunderttausend verschiedenen Töpfen mit ebensovielen Zuständigen, potentiellen Dreinrednern und damit einhergehenden Bittgängen irgendwie nerven, und zwar die ganze Bremer Kulturszene. Aber back to Tokyo.

Dort genoss Kazue Yoshikawa in den 60-ern eine Kunstausbildung, die japanische und westliche Malweise umfasste. Der Katalog versorgt mit entsprechden Fachtermini: Rimpa-Malerei (auf Goldgrund), shaseiga (realistische Blumen- und Vogelbilder), shaiga (zen-inspirierte Tuschbilder) .... 1975 im zarten Alter von 30 Jahren entschied sie sich, noch ein zweites Mal zu studieren und zwar an der Hamburger Hochschule. Dort schockte sie ihr Prof, Franz Walther, in etwa so: „Warum malst du wie ein Pariser Impressionist um die Jahrhundertwende?“

Also besann sie sich einerseits auf japanische Traditionen und lernte andererseits die brandaktuelle westliche Kunst kennen – und zugleich, sich von dieser zu distanzieren. Denn deren Denken findet sie zum Teil arg unsinnlich und konzeptionell. Die Malerin, der das freundliche Lachen ins Gesicht geschnitzt zu sein scheint, behauptet von sich, sie male aus „dem Bauch, dem Körper“ heraus, aber in Hängung und Thematik der Bilder ist die Kenntnis herrschender Kunstdiskurse – postmoderner Stilpluralismus, Zitat ... - abzulesen.

Am Spektakulärsten in dieser Ausstellung ist eine göttlich-ironische 36-teilige Bildergeschichte, welche in Anlehnung an den berühmten Grabower Altar (1379 für St. Petri in Hamburg) von Bertram von Minden die Bibel heruntererzählt, und zwar von der Genesis bis Christi Geburt. Statt Bergpredigt, Kreuzigung und Heiligem Geist kommen über die Menschheit ein paar liebreizende Pin-up-Girls, Blumenbilder und tapetenartige Ornamentbilder, weil „die Bibel doch arg traurig ist“. Enden aber tut der kunterbunte Comic böse, in frostigem Grau, nämlich mit einem menschenleeren Großstadttableau und einem Schaf: es ist überaus knuddelig, aber es heißt „Dolly“.

Und es bleibt im Dunkeln, wie groß der Ernst bei dieser hochironisch-verspielten Gesellschaftskritik ist. Im Genesisteil dominieren die Hände: Wie ein hyperaktiver Verkehrspolizist winkt Gott – mal blond mal braunhaarig, mal weiblich, mal männlich – Sonne, Mond, Tiere und den übrigen Mist herbei. Kaum sind Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben, werden reihenweise Köpfe abgehakt: Die Bibel als Splattermovie.

Restlos hingerissen war Yoshikawa aber von der simplen, doch eindringlichen Bildersprache, mit welcher der gotische Meister diese Sache mit der jungfräuliche Empfängnis bewältigte: Das Baby rutscht mit Kreuz und Taube an einem Seil vom Himmelsgott herunter mitten in Marias Schädel, eine sogenannte Kopfgeburt. Adam, Eva und das Jesusbaby sind rosarot. Die Himmlischen aber und Maria sind körperlos: ein leeres Gespinst aus Kleiderfalten: formale Durchdachtheit trifft sich hier immer wieder mit Klamauk, Hommage mit Persiflage.

Bei den anderen Arbeiten muss er fallen, der asiatische Instant-Begriff „kaligrafisch“. Riesige Blütenköpfe sind so abstrahiert, dass sie zu Zeichen mutieren. Sie verteilen sich oft so regelmäßig über 80x400 cm oder 160x260 cm etc. Fläche, dass sie als poppiges Geschenkpapier einsetzbar wären. Die Harmonievorstellungen von Ikebana findet Yoshikawa aber doof. Einmal ist der Grund blau, „es ist das Yves-Klein-Blau. Ich wollte dessen Harmonie attakieren.“ Deshalb explodieren darauf lilienartige Kelche in Rot Schwarz Gelb. Dabei fabriziert die „ganz normale Lackfarbe, wie sie im Baumarkt zu haben ist“ wunderschöne Schlieren. Und überhaupt scheut sich Yoshikawa keineswegs vor dekorativen Knalleffekten.

Daneben gibt es aber auch stille Wasser- und Wolkenanmutungen in türkis, grobschlächtige Farbgewitter in höllischem Rot und Schwarz und filigrane Schnörkeleien. Diese sehr verschiedenen Stile sind alle vertreten in einer Art Fries von Dutzenden Bildern in 40x60 cm: Kein geschlossenes Kunstwerk, sie können auch anders gruppiert oder einzeln gehängt werden. Und manchmal ist mittendrin ein zuckersüßes Pornobildchen.

Im unteren Geschoss ist Bea Schlinelhoff zu sehen, über deren Ausstellung ohne eigene Werke bei Claasen-Schmal wir jüngst berichteten. Weil möglicherweise auch ein Hubschrauber friert, hat sie für ihn einen Neoprenanzug selbst genäht, auch für die Rotorblätter. Für Besucher, die versehentlich unter einer fluchbeladenen Klappleiter durchgehen, steht Salz (SPAR, 0,39DM) zum Entfluchen parat. Daneben Diaprojektionen und Collagenzeichnungen, so filigran wie Beuys aber zum Glück lustiger inklusiv flammendem Herzen. bk

Bis 22.4.

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