: „Wir müssen wie die Wölfe werden“
Mit dem Beginn der Paarungszeit erleben Wölfe und Manager nicht nur in der Schorfheide eine neue und zeitgemäße Konjunktur: Die beiden Spezies vereinigen sich im Zeichen der Biopolitik zwischen Ökologie und Genetik. Zu dumm, dass wir gerade jetzt unseren Rohfleischkonsum drosseln müssen
von HELMUT HÖGE
Jetzt wird’s spannend. In der Schorfheide haben die ersten Drosseln angefangen zu singen. Auch für den dreibeinigen Wolf Naum und seine Gefährtin Mina, die man dort in einem Gehege zusammengesperrt hat, beginnt nun mit dem nahen Frühling die Paarungszeit. Ihren vierbeinigen Nachwuchs will man später, wie bereits erwähnt, draußen in der freien Wild-Mark ansiedeln. Dazu gibt es bereits einen „Management-Plan“ des Umweltministeriums.
Mich hat dieses „Projekt“ stark an die letzte DDR-weite LPG-Konferenz bei Leipzig 1990 erinnert, auf der der West-Agrarlobbyist von Heereman seine erste Ost-Rede hielt: Er versprach nichts Geringeres als die Auflösung der LPGs! Die anwesenden kommunistischen LPG-Vorsitzenden verstanden ihn sofort: „Wir müssen jetzt wie die Wölfe werden!“ – „Und uns selbst zu Managern mausern!“
In der freien Marktwirtschaft ist der Mensch dem Menschen ein Wolf, und mit der Wende ins Globale wird aus der Gleichmacherei der Kollektive wieder ein natürliches Machtgefälle: mit leistungsbezogener Gehaltsspreizung und Funktionselite, wobei die Höhe des Einkommens Indikator für den Erfolg ist. Überall muss jetzt also statt bloß verwaltet etwas gemanagt werden. Für diese Manager gibt es sogar neue Bürokomplexe mit aggressiver Bug-Architektur: Ganz oben auf der Kommandobrücke, wo nachts immer noch Licht brennt, hat der Topmanager das Ruder in der Hand. Unbeirrt hält er Kurs auf die neuen Märkte, zum Beispiel in China. Ron Sommer ist so ein Leitwolf. Seinem Namen ist noch die Abkunft vom deutschen Schäferhund Rex anzumerken.
Die Konjunktur von Wolf und Manager geht natürlich einher mit einer Renaissance der Biopolitik: Genetik und Ökologie sind Trumpf, und Rassen und Ethnien sind wieder der Weisheit letzter Schluss. Vor dem ewigen Rauschen des Blutes, dem Saft der wahren Identität, kann man nur verstummen. Zu dumm, dass wir gerade jetzt unseren Rohfleischkonsum drosseln müssen!
Im archaischen römischen Recht gab es den „Homo sacer“, einen freigelassenen Verbrecher, den jeder wie einen Wolf ungestraft töten durfte. Diesen Homo sacer treffen wir wieder in Osteuropa im Zweiten Weltkrieg - nach der Okkupation durch die so genannte deutsche Herrenrasse. Wer sich gegen sie von den Wäldern aus wehrte, das waren „Wölfe“. Anständige Untermenschen taten so etwas nicht.
TriebhafteNaturvölker
In Jugoslawien und Rumänien, wo daneben im Bürgerkrieg diese „Wölfe“ auch noch übereinander herfielen, wurde jetzt ein großes Wolfs-Wiederansiedlungsprogramm gestartet, finanziert von Tierschutzorganisationen. Nach dem Rückzug von dort schrieb einst der Oberbefehlshaber Südost in einer Denkschrift: „Aber, es war kein Kleinkrieg; nein, es war ... ein Losbrechen jahrhunderte alter Leidenschaften triebhafter Naturvölker.“
Der „Homo sacer“, das waren im Osten zunächst die Juden und Kommunisten, aber dann auch alle Slawen, im Sinne von Sklaven, die ebenfalls – zumindestens von ihren Herren – ungestraft getötet werden durften. Dabei wird die alte Konzeption des „Ausnahmestatus“, wie der Historiker Giorgio Agambens meint, vom modernen Staat wiederaufgegriffen. Der nationalsozialistische Staatsrechtler Carl Schmitt macht ihn sogar zum zentralen Begriff des Politischen. Auch sein staatlicher Ausnahmezustand verfügt per Gesetz eine Einschränkung der Einschränkungsmacht des Gesetzes: Nun kann jeder auf den „Feind“ losgehen, d. h. jeden Gesetzesübertreter und Verdächtigen „erledigen“. Schmitt kritisierte übrigens nach dem Krieg Hitler, dass er nur einen lächerlichen „Kommissarbefehl“ herausgab und keinen „Partisanenbefehl“ – in der Praxis ermordeten die Deutschen jedoch bald flächendeckend jeden. Zumindestens in Weißrussland.
Auch Walter Benjamin hat sich einmal in einem Essay über die „Gewalt“ mit dem Ausnahmezustand beschäftigt, nur von der anderen, emanzipatorischen Seite her: Da jede Rechtsetzung aus einem Unrechtszustand anhebt, d. h. mit einer kleinen oder großen Revolution, hat jedes Recht eine Lücke, die dieser Herkunft quasi geschuldet ist. In der Weimarer Republik war dies das proletarische Streikrecht: der Generalstreik, der in letzter Konsequenz zum Umsturz führt. Dagegen und daraus entwickelte sich der „nationalsozialistische Rechtsstaat“. Bei den Berliner Verkehrsbetrieben riefen einmal Nazis und Kommunisten gemeinsam zum Streik auf.
Dann setzte sich aber der Schmitt’sche und nicht der Benjamin’sche „Ausnahmezustand“ durch, den Giorgio Agambens von der im 17. und 18.Jahrhundert entstandenen „Biopolitik“ (Michel Foucault) herleitet. Damals begann der Staat sich um seine „Bevölkerung“ zu kümmern, um ihre Gesundheit, ihre Zahl, ihre Zähne, ihre schlechten Angewohnheiten, er schöpfte die Bettler und Obdachlosen ab, errichtete Siechen-, Waisenhäuser usw. Dadurch wurden die Staatsbürger jedoch zu Körpern: „Indem die modernen Massendemokratien die nationale Zugehörigkeit und zahlreiche Rechte ihrer Subjekte an die Geburt koppeln, haben sie von vorneherein den biologischen Körper zum Politikum gemacht.“
In Amerika, wo das Individuum immer vor dem Staat da war, entwickelte sich dagegen und daneben auch eine Biopolitik von unten: Ohne Scheu vergrößert man dort seine Brüste, ändert seine Nasen, Namen etc. und nimmt gegen alle möglichen und unmöglichen sozialen Zumutungen Tabletten. Dort entstand im Unabhängigkeitskrieg auch der Partisan, der für die regulären (englischen) Truppen schnell zum „Wolf“ wurde. Er verteidigte sein Jagdrevier, seine Scholle, allzu verbissen!
Auch am Anfang des Zweiten Weltkriegs waren die Partisanen in der Mehrzahl noch erd- und dorfverbunden: „tellurisch“ nennt es Carl Schmitt. Aber ihre Avantgarde, die (taylorisierten) Arbeiter, im Verein mit den Bolschewiki hoben den Kampf schon bald auf ein allgemeineres und höheres, d. h. kommunistisches Niveau. Bei der Zurückdrängung der Deutschen ging die Entwicklung also (wieder) vom Rassen- zum Klassenkampf, von der Bio- zur Sozialpolitik. Natürlich mussten viele Menschen dabei zu ihrem Glück gezwungen werden. Man könnte auch von „repressiver Sublimierung“ sprechen. Wie der jüdisch-polnische Dichter Alexander Wat (evakuiert in Alma-Ata) versicherte, waren „nur die Russen und Juden“ wirklich kampfentschlossen. Alle anderen „Völker, bis hin zu den Kasachen“, hofften auf einen deutschen Endsieg.
„Freie Fahrt nach Gießen“
Der erste Einbruch in diesem siegreichen Kommunismus geschah 1968 mit der linksradikalen Studentenbewegung; die polnische KP zog dagegen die Dumpf-Trumpfkarte Antisemitismus, und die jugoslawische KP setzte auf Nationalismus, indem sie den „kroatischen Frühling“ anerkannte und die marxistischen Studentenrebellen auflaufen ließ. 1974 wurde diese reaktionäre Politik sogar verfassungsmäßig festgeklopft. Als Nächstes knickten 1989 die Ungarn ein, indem sie sich von den Amis und den Deutschen (Palmer und Genscher) kaufen ließen: Für 1,2 Milliarden Mark bekamen die DDRler in Ungarn „Freie Fahrt nach Gießen“.
Wenig später wiederholte sich dasselbe noch einmal in Prag. Der Ab-Zug der „Botschaftsbesetzer“ quer durch die DDR war hier jedoch billiger. Darauf folgte 1991/92 die überstürzte deutsche Anerkennung Sloweniens, Kroatiens und Bosniens, später auch Makedoniens, wiederum durch Genscher. Tausende von Kommunisten mutierten quasi über Nacht zu Nationalisten, Christen, Muslimen etc. – und fielen als solche wieder übereinander her.
In Ostdeutschland beklagte sich 1995 z. B. die evangelische Pastorin in Bischofferode Christine Haas, die sich zuvor im Kampf der dortigen Kalibergarbeiter sehr engagiert hatte, „dass jetzt nach der Niederlage so viel rückwärts gewandtes Zeug im Eichsfeld passiert: Schützenvereinsgründungen, Traditonsumzüge und sogar Fahnenweihen“.
Dies ist das Hintergrundrauschen für die neuen Partisanen, die diesmal bei Carl Schmitt und Ernst Jünger (NSDAP) und Rolf Schroers (FDP) anknüpfen. Diese drei glorreichen Halunken hatten in Umdrehung der Sartre’schen Resistance-Philosophie „Existentialismus“ in der Nachkriegszeit den Partisanen als Kämpfer definiert, der einen alten Zustand (z. B. Germanien oder die gute alte Zeit) wiederherstellen will, also als einen „Rechten“, während die linken Partisanen für eine Utopie kämpfen und deswegen überhaupt keine Partisanen sind, sondern „Revolutionäre“. Die Neonazis, mit Publikationen wie „Wehrwolf“ und Hass auf vor allem sozial Schwache – das sind also die echten deutschen Partisanen!
Der deutsche Sonderweg des Widerstands im Sinne einer repressiven Entsublimierung wird von den Umweltschützern nun mit einer geradezu grotesken Wolfs-Propaganda flankiert: Der Wolf ist lieb, der Wolf ist im Rudel treu und sausozial, der Wolf ist nicht nur harmlos, sondern geradezu eine Gesundheitspolizei, vom Wolf kann und muss man lernen usw.
Der Reihe nach: In Kreuzberg spielte gerade „live im moonlight“ die Gruppe „Drunken Wolf“, im Internet wirbt das saarländische Merzig, Standort eines Fallschirmjäger-Bataillons, als „Stadt der Wölfe“: Der dortige „Einzelkämpfer“-Ausbilder Werner Freund hat nämlich mit 25 Wölfen ein „Miniaturreservat“ angelegt, das jährlich von über 100.000 Menschen besucht wird. Im Berliner Kurier wird vom Wildpark Johannismühle berichtet „Herr Wolf will Vater werden“, zuvor wurden dort bereits „Wilde Wölfe als Fernsehstars“ vermeldet, wobei es um die Dreharbeiten für den RTL-Film „Weihnachtswölfe“ mit Echtwölfen in Tirol ging.
In der Frankfurter Rundschau schrieb der Belgien-Korrespondent über den wilden „Wolf vom Waasland“ und die Lokalredaktion über das neue „Pampa-Gehege für Mähnenwölfe“ im Frankfurter Zoo. Der Tagesspiegel titelte: „Die Wölfe kommen“, wobei es um sibirische Tiere ging, die wegen der großen Kälte die Haustiere in den Ställen anfallen. Ähnliches meldete dann dpa aus der Altai-Region, wo gerade die 62-jährige Walentina Mokina mit 24 Abschüssen zur „besten Wolfsjägerin“ des Jahres 2000 gekürt wurde, was mit einer Prämie von 185 Mark verbunden war.
Nach „Das Glück“ und „Spielregeln des Glücks“ legte die Paderbornerin Gertrud Höhler nun den dritten Band ihrer Trilogie über den Erfolg vor. Er heißt: „Wölfin unter Wölfen“.
Und dann zirkuliert noch ein Raubdruck in Neukölln. Autor ist ein bekannter Frankfurter Verleger, der einmal einen selbst verfassten Essay an alle „Freunde des Hauses“ schickte.
Schneewolf unter Junkies
In der Manier von Hermann Hesses „Steppenwolf“ schilderte er darin eine Ski-Abfahrt in der Schweiz, bei der er in einen fürchterlichen Schneesturm geraten war. Sein Abenteuertext hieß dann auch „Der Schneewolf“ und war ein starkes Stück Prosa irgendwo zwischen Hesses „Siddharta“ und Konsaliks „Stalingrad“. Dieser „Schneewolf“ wird nun von einigen Fixern in den Kneipen für 5 Mark verkauft.
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