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Sag mir, wo die Titel sind

Die überfällige Würdigung eines wenig beachteten Gewerbes im Filmwesen

Nachdem die düstere Ballade weithin auf Gehör gestoßen war, blieb das Dacapo nicht aus

Selten wird bedacht, wie viele Menschen hintergründig werkeln und wuseln, ehe ein Kinofilm über den Führungsschlitten des Projektors rumpeln kann. Wenig Würdigung erfahren beispielsweise jene zur Anonymität verdammten Kopfarbeiter, die in Schreibstuben und Ideenfabriken darüber grübeln, mit welchem Signet man einen Film zu Markte tragen sollte. Ihre Arbeit aber ist es, die unter Umständen über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Wohl kaum hätte sich das Publikum von einem nach nüchterner buchhalterischer Aufrechnung klingenden Titel wie „Les quatre cent coups“ ins Kino locken lassen. Erst die freie Übertragung „Sie küssten und sie schlugen ihn“ sorgte dafür, dass deutsche Kinogänger künftighin Trüffel und Truffaut zu unterscheiden vermochten.

Obzwar man darüber rätseln kann, warum aus dem märchenhaften „C’era una volta il west/Once Upon a Time in the West“ der finster drohende Imperativ „Spiel mir das Lied vom Tod“ werden musste, gab der Erfolg dem unbekannten Dichter sehr wohl Recht. Nachdem die düstere Ballade weithin auf Gehör gestoßen war, blieb das Dacapo nicht aus. Zeitweilig mochte es scheinen, als hätten hirn- und sonnenverbrannte Westernhelden ihren Colt gegen den Taktstock eingetauscht: Da wurden konzertant und konzertiert „Das Lied vom Mord und Totschlag“ („Los Amigos“), die „Todesmelodie“ („Giu’ la testa“) und gar „Das Wiegenlied vom Totschlag“ („Soldier Blue“) aufgeführt, und Westernikone Django erhielt unmissverständlich Anweisung: „Django – schieß mir das Lied vom Sterben“ („C’e sartana ... vendi la pistola e comprati la bara“).

Besonders einfallsreich zeigten sich deutsche Titelbildner bei der Beschriftung jener China-Importe, die vor Erfindung der Videotheken noch gelegentlich in deutsche Lichtspielhäuser gelangten. Titel wie „Knochenbrecher halt die Ohren steif“ („The Cristal Fist of Drunken Master“), „Saufbold und Raufbold“ („The Drunken Arts and Crippled Fist“) oder gar „Zwei Dreschflegel schlagen alles kurz und klein“ („Against Rascals with Kung Fu“) erwiesen sich prompt als ungeeignet, jene Kulturnomaden anzulocken, die auf der Suche nach dem aktuellen Schick unermüdlich von einer Prosecco-Oase zur anderen wandern. Dieses Völkchen kommt erst, seit Titel wie „Tiger & Dragon“ („Crouching Tiger, Hidden Dragon“) urbanen Gelegenheitsesoterikern einen Hauch von Zen versprechen. Da stört es nicht weiter, dass der Film von einem Sinoamerikaner in Szene gesetzt und wie Chop-Suey westlichen Geschmäckern angepasst wurde.

Die großen Zeiten der Titelhelden indes scheinen vorbei. Immer häufiger werden englische Originaltitel beibehalten. Kurioser noch, dass fremdländische Filme wie Fridrik Thor Fridrikssons „Englar alheimsins“ oder der Jackie-Chan-Film „Bolei cheun“ auf dem deutschen Markt englische Titel, nämlich „Angels of the Universe“ und „Under Control“ zugewiesen bekommen. Frühere Epochen hingegen waren geprägt von Kreativität, Skrupellosigkeit und Dumpfheit, so wenn man statt „Going Berserk“ in Deutschland „Auf die Bäume, ihr Affen – der Urwald wird gefegt“ plakatierte. Und wohl niemandem wäre der italienische Gangsterfilm „Colpo in canna“ in Erinnerung geblieben, hätte man ihn dem hiesigen Publikum nicht mit dem schönen Satz „Ich polier dir deine Glatze“ angedient bzw. angedreht. Wortmächtig auch prangt ein Titel wie „Die Trottel vom Texas-Grill“ und täuscht wirkungsvoll darüber hinweg, dass Gene Hackman in dem Melodram gänzlich untrottelig agiert. Vielleicht war da „Der kleine Spinner mit den großen Socken“ am Werk, der schon wider Willen zum Titelhelden der ansonsten mit Bernadette Lafont und Anna Karina besetzten französischen Komödie „Chausette surprise“ wurde. Bei solchen Gelegenheiten läuft’s einem schon mal kalt den Rücken hinunter, und vielleicht ging es jenem unseligen Individuum ähnlich, das beim Nachdenken über „Fai in fretta ad uccidermi ... ho freddo!“ der Verwirrung anheimfiel und die semantisch fragwürdige Lösung „Mach mich kalt, ich friere“ präsentierte.

Zum Schluss noch flink ein Blick in die Gegenwart. Von welchen Tücken die Aufgabe des Titelgestalters begleitet sein kann, zeigt sich bei „Dude, Where’s My Car?“. Wer die momentan kursierende Jugendklamotte zu sehen wünscht, muss nach „Ey Mann – wo is’ mein Auto!!?“ Ausschau halten. Mag der Wortlaut halbwegs stimmen, so hapert es doch beim Klang. Denn der weich dahinfließende Originaltitel vermittelt bereits eine Ahnung davon, dass die beiden halbwüchsigen Helden die Welt drogenbedingt mit umflorten Blicken wahrnehmen. Die deutsche Schöpfung hingegen tönt absolut konkret und voll krass. Auch wieder so eine Modeerscheinung. HARALD KELLER

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