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Echte Sorge, wahrer Ernst

Der perfekten Technik die eigene Verletzlichkeit entgegensetzen: Aktive von Greenpeace ketten sich bei Oldendorf an die Gleise  ■ Von Heike Dierbach

Nichts geht mehr. Oben auf der gesperrten Straße nicht, wo sich der Verkehr Hunderte von Metern staut. Unten auf der Schiene schon gar nicht: Vier Menschen sitzen dort, alle um die 20 Jahre jung. Ihre Hände stecken in einer ein mal zwei Meter großen Stahlkiste, die auf den Gleisen steht. Fast verschwinden sie zwischen all den Bundesgrenzschützern, die um sie herumwuseln: Vier Menschen halten dort den Castor auf, allein, in einer eiskalten Märznacht, auf einem Feld bei Oldendorf.

Acht Greenpeace-AktivistInnen hatten sich am Dienstagabend um Viertel nach sieben hier festgekettet. Vier hat die Polizei jetzt schon losgeschweißt. Vier stehen noch quer. Zwei Stunden knien sie jetzt schon auf den Gleisen. Ihre Gesichter sind ernst, es fehlt das Herumgeflaxe, mit dem sich die CastorgegnerInnen sonst immer Mut machen. Aber mutlos wirken die vier jungen Männer nicht: Eher konzentriert und entschlossen. Alterslos. Einzige Aufheiterung: Einer hat einen Zylinder auf.

Der BGS ist im Stress. Nicht nur, weil die Beamten es nicht schaffen, die Kisten loszubekommen. Sie wissen, dass sie hier moralisch in der Defensive sind: Den vieren darf jetzt nichts passieren. Aber mehr als ein Beamter hat auch Falten auf der Stirn, die nach echter Sorge aussehen, wie ein Vater, der sagt: „Jungs, was macht Ihr nur für Sachen.“ Über allem knattern die Hubschrauber, Symbole der Überlegenheit der staatlichen Macht. Hier unten, wo Menschen der perfekten Technik ihre eigene Verletzlichkeit entgegensetzen, können auch sie nichts bewirken.

Oben auf dem Feld sind 50 weitere GreenpeacerInnen in Gewahrsam genommen worden, auch alles junge Leute, die zu Beginn mit den acht auf den Gleisen waren. Sie sind aus 15 europäischen Ländern extra für die Aktion angereist. „Dadurch wollen wir die Botschaften involvieren“, erklärt Greenpeacesprecher Sven Teske, „und die Diskussion auf eine europäische Ebene bringen.“ Adressaten sind auch Länder, die überlegen, in Atomkraft einzusteigen. „Ihnen wollen wir zeigen: Atomkraft ist sozialer Sprengstoff“, sagt Teske.

Jetzt hat die Polizei zwei der vier „befreit“. Sichtlich erschöpft sitzt der eine auf dem Schotter, schaut gelassen in die Dutzende Kameras, die sich auf dem Abhang vor ihm postiert haben. Etwas durchgefroren sei er, „aber sonst o.k.“ Der BGS schleppt ihn zum Wagen. Um kurz vor zehn folgen die letzten beiden. Sie hatten ein V-förmiges Stahlrohr unter der Schiene durchgesteckt und ihr Hände darin aneinandergekettet. Das Rohr hat der eine noch am Arm. Er spürt seine Hand darin kaum noch. „Das Rohr muss sofort ab“, fordert ein Arzt vom „Demokratischen Zentrum Ludwigsburg“. Der BGS-Einsatzleiter will nicht, hat Angst, dass der Mann verletzt werden könnte, „und dann verblutet der mir hier“. Schließlich lässt er doch den Schweißbrenner bringen. Zehn Beamte starren auf das Rohr, aus dem jetzt die Funken stieben. Nachher werden sie eine Anzeige schreiben wegen „gefährlichen Eingriffes in den Schienenverkehr“. Aber lass jetzt bloß nichts passieren. Und der Castor steht schon ein paar Kilometer vor Oldendorf.

Um halb elf ist es geschafft: Das Rohr ist ab, und der junge Mann kann seine Hand noch bewegen. Alle atmen sichtlich auf. Der Mann sitzt gedankenverloren dazwischen, betrachtet seine Hand. Dann wendet er sich kurz der Presse und den Zuschauern zu. Er lächelt. Er hat es geschafft.

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