piwik no script img

Ein Herz für Tierschützer

Ist Brigitte Bardot durchgeknallt? Die Leistungen der aktiven Tierschützer bleiben oft unberücksichtigt. Vorurteile und Klischees prägen die Meinung der Öffentlichkeit

Tierschutz istper se legitim.Er muss sich nichtmit Menschenschutzrechtfertigen

Tierschützer sind eigenartige Menschen. Man kann sich wundern, ja bisweilen herzlich über ihre Aktionen lachen. Besonders wenn die französische Schauspielerin Brigitte Bardot auftritt, werden die vorhandenen Klischees über Tierschützer gerne aktiviert. Die tatsächlichen Leistungen des aktiven Tierschutzes bleiben dagegen von der Öffentlichkeit meist unbeachtet.

Klischee Nummer 1: Tierschützer sind frustrierte Misanthropen. Die Bardot steht damit nicht nur für die missbrauchte Diva, die bei den Tieren Zuflucht sucht, sondern vor allem auch für die „typisch weiblichen“ irrationalen Sentimentalitäten. Tatsächlich sind Frauen im Tierschutz dominant, obwohl die Führungspositionen von Männern besetzt sind. Und es ist wahr, dass deutsche Tierschutzvereine viel mit der Vereinsmeierei anderer Sparten gemeinsam haben – nur dass man sich hier zusätzlich in der eigenen Barmherzigkeit sonnen kann. Das führt schließlich zu widerlichen Auswüchsen, etwa wenn der Maulkorbzwang für Kampfhunde mit der Judenverfolgung verglichen wird.

Doch sollte der Tierschutz nicht darauf reduziert werden. Es gibt auch eine politische Variante, die den Tierschutz im Zusammenhang mit dem Kampf gegen andere Missstände sieht. Diese Gesellschaftskritik wird allerdings kaum wahrgenommen, weil sie sich stets am Rande der öffentlichen Toleranz bewegt und gegen größte Widerstände kämpfen muss. Zu solchen Widerständen gehört eine männerdominierte, wissenschaftsgläubige Gesellschaft, nach der Tiere weder Seele noch Vernunft besitzen. Dabei wird das verhärtete Weltbild eines Bacon oder Descartes bemüht, das Tiere als „seelenlose Automaten“ definiert. Versuche, dieses mechanistische Weltbild, das uns unter anderem die hemmungslose Zerstörung der Natur beschert hat, anzutasten, werden als weibische Irrationalität abgetan. Zu einer kritischen Haltung gegenüber Politik und Gesellschaft gehören aber eben auch wissenschaftskritische Überlegungen. Es ist bezeichnend, wie selbst linke Medien starr das gängige Weltbild der exakten Wissenschaften kolportieren und sich an BSE oder Tiertransporten in Zahlen und Fakten abarbeiten.

Klischee Nummer 2: Wer Tierschutz betreibt, dem sind Menschen egal. Denn nur dann könne man die absurde Idee haben, in armen Ländern Tierschutz betreiben zu wollen. Dabei kommen Tierschutzprojekte fast immer auch den Menschen zugute. Die Streunerhunde in den Ländern des ehemaligen Ostblocks sind tatsächlich eine Plage. Was spricht aber dagegen, sie zu impfen und zu kastrieren? Es ist keineswegs so, dass wilde Horden von bissigen Straßenhunden durch die Städte marodieren. Der größte Teil sind äußerst zahme Tiere, die zu einem Kiosk oder Wohnblock gehören und von ihrem „Besitzer“ beherzt gegen die städtischen Tötungskolonnen verteidigt werden. Die Tötung ist keine Alternative zur Kastration, da sich die Tiere in den frei gewordenen Revieren nur umso schneller vermehren – erst recht, solange Aussetzen eine gängige Praxis bleibt.

In solche Projekte werden auch die Menschen eingebunden. So können in der Kastrationsklinik des kleinen Münchner Vereins Tierhilfe Süden e. V. in Sofia Veterinärstudenten eine praktische Ausbildung erhalten, nämlich in der Kastration von Hunden. Und die Fakultät kann das gespendete Equipment auch für andere Zwecke benutzen. Arbeitsplätze für Tierärzte und Tierpfleger werden geschaffen. Ein Projekt in Bukarest überlässt Straßenkindern die Betreuung von Tieren, wodurch die Kinder Verantwortung übernehmen und eine Aufgabe bekommen, manchmal sogar eine Ausbildung. Ein Bärenpark für freigekaufte Tanzbären in einem Skigebiet in Bulgarien ist ein wichtiger Beitrag zur Infrastruktur des vom Tourismus abhängigen Landes. Solche Projekte werden aber weder von Vereinsmeiern noch von Wissenschaftlern oder Politikern auf die Beine gestellt, sondern von engagierten Einzelpersonen, die vor Ort aktiv sind. Ihnen ist natürlich auch eine Brigitte Bardot willkommen, selbst wenn sie auf die idiotische Idee kommt, den Frauen- zum Hundetag zu machen. Aber die prominente Unterstützung bringt etwas Rückenwind und vielleicht auch die eine oder andere Spendenmark. Denn im Vergleich zu den Millionen, die in humanitäre Hilfe der großen Organisationen fließen und oft in unbekannten Kanälen versickern, versuchen diese kleinen Projekte, aus wenig Ressourcen das Bestmögliche herauszuholen. Dennoch: Tierschutz muss sich nicht mit Menschenschutz rechtfertigen, sondern ist per se legitim.

Klischee Nummer 3: Osteuropäer haben vor lauter Elend keinen Kopf für Tierschutz. Oder allgemeiner: Ethische oder moralische Fragen haben neben materiellen Problemen kein Gewicht. Durch die Presse gejagt wird gern das Bild von den barbarischen Osteuropäern, die Straßenhunde zu Tausenden in Gaskammern stecken oder anachronistischen Belustigungen wie Tanzbärenvorführungen frönen. Dass sich an Tanzbären auch Touristen ergötzen, dass die Hunde besonders in den Gebieten massenweise vernichtet werden, wo sie das empfindliche Auge von Westeuropäern stören könnten, oder dass westeuropäische, schießwütige Bonzen das wertvolle osteuropäische Großwild zum Trophäensammeln abknallen, wird dabei allzu gern vergessen. Niemand zeigt, wie Bulgaren abends ihre Mietshäuser öffnen, damit sich Straßenhunde auf die Fußabstreifer legen können, oder wie sie in der Kastrationsstation stundenlang verzweifelt anstehen, um weinend um die Befreiung ihrer Straßenhunde aus der berüchtigten städtischen Tötungsstation zu bitten. Niemand zeigt die Tierschützer, die unter dem Existenzminimum leben und trotzdem Rechte für Tiere fordern und mutig gegen eine Mafia angehen, die aus dem Tierelend Kapital schlägt, zum Beispiel durch Verkauf der Hundefelle oder Einsacken der Millionen, die sich die Stadt Sofia die Tötung kosten lässt. Zusammen mit der Presse, die das Hundeproblem regelmäßig thematisiert (ja, es gibt ein Leben neben Brotpreisen, Arbeitslosenzahlen und EU-Beitritt) machen die Tierschützer Druck auf bulgarische Politiker. In Umfragen sprachen sich immerhin knapp 40 Prozent der Bevölkerung gegen die Tötung der Hunde aus.

Tierschutzprojektein armen Ländernkommen fast immer auch denMenschen zugute

Leider erreichen uns diese Informationen nicht, die ein differenzierteres Bild über Tierschutz und Osteuropa vermitteln würden. Bloß das einer durchgeknallten Bardot, die nichts Besseres zu tun hat, als mitten im menschlichen Elend Osteuropas Hunde zu retten. Diese Klischees sind nicht nur deshalb schädlich, weil sie oberflächlich und beleidigend sind. Sie werden nur allzu gern und erfolgreich eingesetzt, um Tierschützer mundtot zu machen, insbesondere von denjenigen, deren Interessen durch Tierschützer bedroht sind. Aber sie können nur aufgrund von Informationsmangel weiter existieren. Es wird also höchste Zeit, dass das Thema Tierschutz jenseits von Skandalen und Effekthascherei Eingang in die deutschen Medien findet.

KARIN WULLENWEBER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen