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Der Krieg der Schmuggler

In Makedonien tobt kein ethnischer Konflikt. Vielmehr versucht der makedonische Staat, seine Grenzen im Sinn des Schengener Abkommens zu sichern. Das stößt auf Widerstand

Unordnung kommt Schmugglern zugute – das ist die eigentliche Ursache desMakedonienkonflikts

Für den derzeitigen Konflikt in Makedonien hat sich hierzulande schnell eine bestimmte Lesart durchgesetzt: Albanische Extremisten – zumeist aus dem Kosovo – seien in die exjugoslawische Republik eingesickert, um dort ihren Kampf für ein Großalbanien fortzuführen. Die neue „Nationale Befreiungsarmee“ UÇK wird dabei als Produkt einer verfehlten Nato-Politik betrachtet. Zwei Jahre nach dem Ende des Bombardements der Bundesrepublik Jugoslawien scheint es, als wären sich viele der früheren Kriegsbefürworter plötzlich mit dem damaligen Feind einig: Das Problem auf dem Balkan sind marodierende albanische Nationalisten mit zu großem Appetit.

Seltsam dabei ist allerdings, dass in den Kommuniqués der makedonischen UÇK von Großalbanien oder Ähnlichem überhaupt nicht die Rede ist. Diese erstaunliche Abwesenheit jeder politischen Vision könnte darauf hinweisen, dass es in diesem Konflikt um etwas anderes geht als um den immer wieder beschworenen „Bazillus ethnischer Spannung“. Zwar spielt die neue UÇK die ethnische Karte – aber möglicherweise geht es den Guerrilleros weniger um die Befreiung ihres Volkes als um die Destabilisierung der Region. Unordnung auf dem südlichen Balkan kommt nämlich unter anderem Schmugglern zugute – und vieles deutet darauf hin, dass hier die eigentlichen Ursachen des Konflikts zu suchen sind.

Zwischen dem Kosovo, Westmakedonien und Albanien ist in den vergangenen Jahren eine Art illegale Freihandelszone für Zigaretten und Drogen entstanden, wahrscheinlich auch für Waffen und Frauen. Seit Mitte 2000 hatte nun die Regierung in Skopje ihre Patrouillen in der bergigen, unübersichtlichen Grenzregion verstärkt – vor allem, um die illegale Einwanderung etwa aus Afghanistan oder Pakistan zu verhindern. Die Maßnahme war ein Wink in Richtung Europa: Makedonien will dringend näher an die EU heran – über die Abschottung nach außen sollte die Aufhebung des seit 1991 herrschenden Visumzwangs erreicht werden. Doch die Grenzsicherung störte auch den Schmuggel.

Bereits zu jener Zeit fielen an der Grenze erste Schüsse. Die aktuellen Auseinandersetzungen wiederum begannen am 4. März mit einem Angriff auf einen Grenzposten im Örtchen Tanuševci. Das Dorf liegt auf dem Weg von Veliki Trnovac in der südserbischen Preševo-Region zur makedonischen Stadt Kumanovo – etwa 30 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Skopje. Beide Orte sind hauptsächlich von Albanern bewohnt und wurden während der Neunzigerjahren zu Zentren auf der so genannten Heroinroute zwischen Iran, Pakistan, Afghanistan, der Kaukasusregion, der Türkei und Westeuropa. In der Region selbst wird Veliki Trnovac „Medellín des Balkans“ genannt. Andere Pfade führen durch Vratnica, über das derzeit umkämpfte Šar-Gebirge nach Goštivar. In Albanien laufen die Fäden dann in der Großstadt Shkodra zusammen.

Schon Mitte der Neunzigerjahre haben das UN-Drogenkontrollprogramm in Wien, das im Dienste der EU arbeitende „Observatoire géopolitique des drogues“ in Paris und die Drogenbehörden in Lausanne über die Veränderung der Schmuggelrouten berichtet. Der Krieg hatte den Transport durch Exjugoslawien und Osteuropa erschwert. Aber den Schmugglern boten sich Ausweichmöglichkeiten wegen der chaotischen Zustände in Albanien nach 1997 und des Wachsens der Schattenökonomien, die mit den Sanktion des Westens gegen Serbien und denen Griechenlands gegen Makedonien einhergingen.

Zwar gehört es mittlerweile auch in den hiesigen Medien zum guten Ton, auf die Verwicklung albanischer Befreiungsarmeen in den Drogenhandel aufmerksam zu machen. Doch dabei ersetzen zumeist Vorurteile über die „Albaner-Mafia“ die Analyse. Denn die illegale Freihandelszone ist ein Stück Globalisierung von unten. In Kosovo, Westmakedonien und Albanien liegt die Arbeitslosigkeit bei 70 Prozent. Viele Menschen leben von ausländischen Zuwendungen, die von internationalen Organisationen kommen oder von Verwandten im Westen Europas. Schmuggel ist eine der wenigen Möglichkeiten, durch eigene Aktivität zu Geld zu kommen.

Dass dies einigen Menschen in der Region durchaus gelungen ist, zeigen die vielen an Haziendas erinnernden Anwesen rings um die mehrheitlich albanisch bewohnten Städte Makedoniens. Es weist also vieles darauf hin, dass die Initialzündung für die neue UÇK von politischen Unternehmern ausging – von Personen, die die ethnisch-politische Karte für eigene wirtschaftliche Zwecke spielen. Dazu passt, dass sich zwar einige bekannte Gesichter wie Ali Ahmeti oder Fazli Veliu als UÇK-Sprecher betätigen, die tatsächlichen Protagonisten der makedonischen UÇK aber unbekannt sind.

Trotzdem ist es der „Befreiungsarmee“ gelungen, Unterstützung zu erlangen. Die Kämpfer unterstreichen die Ziele der demokratischen albanischen Parteien mit Gewalt und ernten so bei der armen Bevölkerung Sympathien. Denn tatsächlich fühlen sich viele Albaner bei Bildung und Arbeit benachteiligt. Zudem wollen sie nicht länger Minderheit in einem Staat sein, der laut Verfassungspräambel nur den slawischen Makedoniern gehört. Vor der Offensive der makedonischen Sicherheitskräfte konnte man im Dörfchen Poroj – zwei Kilometer von Tetovo entfernt – beobachten, wie mit Verpflegung bepackte Pferde in die Berge geführt wurden. Hier sprachen die Leute offen darüber, dass sie bereits in den Bergen waren und wieder hingehen werden. Vermutlich war es ihnen völlig gleich, ob sie Schmugglerbanden unterstützten oder nicht – es wäre ja nicht das erste Mal, dass Schmuggler zu Helden der Besitzlosen werden.

Auf dem Südbalkanist eine illegale Freihandelszone für Zigaretten, Drogen, Waffen und Frauen enstanden

Im Sinne der Destabilisierung regierte auch die makedonische Seite ganz nach Plan. Dass die Albaner zu viel verlangen, ist unter der Mehrheit der slawischen Bürger Konsens. Im schlimmsten Fall fürchten die Menschen, dass ein fundamentalistischer Islam nach Europa vordringt. Ministerpräsident Ljubčo Georgievski hat diese Ressentiments vor kurzem wieder in einer Rede bedient: Er sprach von den Aufständischen als den „neuen Taliban“ in Europa, womit er geschickt sowohl auf die Bedrohung durch organisierte Kriminalität als auch durch den Islamismus anspielte. Dennoch: Einen Bürgerkrieg in Makedonien wird es wohl nicht geben – dafür ist die Gewalt den eher korporatistischen Mechanismen der Konfliktregelung dort zu fremd.

In Zukunft kommt es jedoch weniger darauf an, dass die makedonischen Albaner zweites Staatsvolk werden. Statt um kollektive Rechte muss es um eine staatsbürgerliche Konzeption Makedoniens gehen, die das Individuum aufwertet und die Bedeutung der ethnischen Bindungen zurückdrängt. Dies kann aber nur dann gelingen, wenn es den Menschen dort wieder möglich wird, ein in wirtschaftlicher Hinsicht anständiges Leben zu führen. Doch darüber wird im Westen ebenso wenig geredet wie darüber, dass die Gewalt in Makedonien eine unbeabsichtigte Folge des Schengener Grenzregimes ist. MARK TERKESSIDIS

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