: Die Söhne Stammheims
Nach seinem Ausflug in die Top Ten lässt Eißfeld alias Jan Delay es mal wieder richtig flashen. Mit „Searching for the Jan Soul Rebels“ hat er jetzt das erste deutsche Rootsreggae-Album gemacht
von TOBIAS RAPP
Das Cover zeigt das Foto einer von Pflastersteinen übersäten Straße, in der Ferne ziehen Tränengasschwaden vorbei, ein Polizist rennt zu seinen Kollegen, ein anderer Polizist rückt seinen Helm zurecht. Am Helm erkennt man: Dies ist 1968. „Searching For The Jan Soul Rebels“ heißt die Platte, in Anlehnung an „Searching For The Young Soul Rebels“ von den Dexy’s Midnight Runners. Eine Platte, die mit den Zeilen schließt: „The only way to change things is to shoot men who arrange things.“ Das war 1980. Buback ist der Name des Plattenlabels, wo die Platte mit dem schönen Cover erscheint. Buback, war das nicht der Generalbundesanwalt, der 1977 von der RAF erschossen wurde? Karl-May-Reggae nennt Jan Eißfeld alias Jan Delay, um dessen Platte es hier gehen soll, seine Musik. War Winnetou nicht ein Apache vom Stamm der Mescaleros?
Yo, Repolitisierung
Halt. Hier geht es nicht um die Vergangenheit. Es geht um das, was man im HipHop immer so schön den „next level“ nennt. Repolitisierung! Das erste deutschsprachige Rootsreggae-Album! Underground geht Mainstream und kommt zurück! Der ganz heiße Scheiß.
Man muss sich Jan Eißfeld als einen Menschen vorstellen, der genau weiß, was er will. Während er seinen Namen auf das Cover einer Platte setzt, gibt er zum Beispiel einem Fanzine-Macher zu verstehen, dass er kein Geld dafür bezahlen wird, bei diesem Magazin auf dem Cover abgedruckt zu werden. Es geht um die Sache, und solche Dinge lassen ihn den Respekt verlieren. Weil es aber um die Sache geht, es nämlich flashen zu lassen, sagt er trotzdem zu, bei einer Party aufzutreten, unter der Bedingung, dass das vorher nicht angekündigt wird. Einfach nur so. Seine Telefonnummer gibt er aber trotzdem nicht raus. „Das musst du verstehen, das mache ich aus Prinzip nicht.“ Es geht um Prinzipien. Man kann sie ruhig regelmäßig nachjustieren, man sollte sie nur haben.
In den frühen Neunzigern, als deutscher HipHop noch ein Versprechen war, das einen als Grafitti von S-Bahn-Wagen grüßte, aber eigentlich nur in eng gezogenen Kreisen stattfand, waren die Absoluten Beginner eine der Gruppen, die beinhart linksradikal „Bullenschweine“ von Slime coverten. Den Antifagestus gaben sie jedoch bald auf, brachten Mitte der Neunziger „Flashnizm“ heraus, ein Album, das darauf bestand, dass man zunächst einmal etwas können muss, wenn man HipHop machen will, und andeutete, dass da noch etwas nachkommen könnte. Mit „Bambule“ schließlich ließen sie vor zwei Jahren die Platte folgen, die man sich vielleicht erträumt, aber nicht ernsthaft erwartet hatte: ein Album, das gleichzeitig souverän vom eigenen Können lebte und gerade deshalb als Pop funktionierte und ohne größere Kompromisse einzugehen in die Charts kam.
Doch wenn man die Geschichte der Beginner bis hierhin als einen linearen Aufstieg zeichnen kann, spätestens als Eißfeld mit seiner Reggae-Coverversion von Nenas „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ in die deutschen Top Ten kam und 250.000 Stück verkaufte, wurde Eißfeld klar, dass es so nicht weitergehen kann. Was tun also, wenn man nicht in die Kurt-Cobain-Falle tapsen will, wenn man das Gefühl hat, die Kontrolle über sein Schaffen zu verlieren? Man weigert sich bei „Top Of The Pops“ aufzutreten, man bringt sein Soloalbum bei einem Indielabel heraus und man signalisiert, dass man sich immer noch als Teil eines sozialen Zusammenhangs sieht.
„Searching For The Jan Soul Rebels“ erscheint am gleichen Tag wie „MiniDisco“, die Platte von Denyo 77, Eißfelds Partner bei den Absoluten Beginnern. Deshalb gehen Eißfeld und Denyo alias Dennis Lisk im Mai auch zusammen auf Tour und deshalb sitzen die beiden nun in einem Hotelzimmer und fertigen gemeinsam Interviewer auf Interviewer ab. Und so unterschiedlich ihre Platten auf den ersten Blick sind – die eine ein klassisches HipHop-Album mit leichtem Soul-Einschlag, die andere Roots-Reggae – so weit sind Eißfeld und Denyo gar nicht voneinander entfernt: „Deutschland ist für mich das Gefühl, nicht verstanden zu werden“, sagt Denyo. „Du gehst die Mönckebergstraße entlang und du wirst nicht verstanden, du siehst die Leute und du willst auch gar nicht verstanden werden. All diese Werbeagenturen, diese ganze Neue Mitte, da will ich nichts mit zu tun haben.“ Und Eißfeld rennt in seinem Videoclip als militanter Palästinenser verkleidet durch den Kölner Karneval und singt: „Ich will nicht, dass ihr meine Lieder singt.“ Nur dass der gemeine Deutsche bei Denyo wahrscheinlich gar nicht mitsingen will.
Bei Eißfeld schon. Deswegen auch das Stück „Söhne Stammheims“. Ein Stück, das nicht zuletzt gegen die Grünen geht und den Frieden, den sie mit den Verhältnissen geschlossen haben. „Endlich haben sie keine Angst mehr / verkaufen fröhlich ihre Panzer / jeden Tag sieben Kinder abschieben / und dann zum Essen mit dem Kanzler. / Endlich sind die Terroristen weg / und es herrscht Ruhe und Frieden. / Und man kann wieder sicher Mercedes fahren / ohne dass die Dinger explodieren.“ Ein Stück, das sich – wahrscheinlich unbeabsichtigt – irgendwo zwischen der „Ist Terror chic?“-Modestrecke und RAF-Romanen behaupten muss.
Hier kommt die Sonne
„Ich wünsch mir das, die zu Popikonen zu machen. Ich bin auch eine, ob ich will oder nicht. So will ich Leute drauf stoßen, die davon keine Ahnung haben. Dass die das zur Kenntnis nehmen. Mich beschäftigt das, seit ich dreizehn bin. Und das stört mich am deutschen HipHop, dass ich mich darüber außer mit Torch mit niemandem unterhalten kann.“
Das ist schon alles? Ist da im Text nicht eine Sehnsucht nach einer Zeit, wo die Mächtigen Angst haben mussten? „So sehe ich das auch. Ob man das jetzt konkret gut findet oder nicht: Da gab es was, was die Leute hat überlegen lassen, wenn sie den nächsten schlimmen Schritt gemacht haben. Die hatten Angst. Damals gab es sicher Leute, die abends nicht gut schlafen konnten. Und heute geht es um Hunde und Benzin.“
Doch – jenseits all der Aufregung, dass da jemand Ensslin auf Benzin reimt – das, warum man sich dieser Platte auch in zehn Jahren noch erinnern wird, ist etwas anderes: Sie ist die erste deutschsprachige Roots-Reggae-Platte. Bläsersatz, Dubeffekte, das volle Programm. An den Reglern saß Matthias Arfmann, der Hausproduzent der Beginner, gleichzeitig auch verantwortlich für die Reggaeplatte von Patrice vom vergangenen Sommer. Doch wo Patrice sich vor allem an jamaikanischen Vorbildern orientierte und auf Patois über seine Roots in Afrika sang, breitet Eißfeld radikal subjektiv seine Weltsicht aus, entfaltet ein ganz bestimmtes Zeichensystem, eine Mischung aus Zielgenauigkeit, Versponnenheit, Feindbestimmung und Albernheit. „Mit geht das um die Musik, dieser ganze Blah-Jah-Scheiß ist mir ganz egal, dazu hab ich keine Verbindung. Ich bezieh das auf mich. Klar ist auch meine Grundeinstellung von der Musik beeinflusst, von der Sonne, die da dabei ist. Aber eigentlich ging mir das darum, dass dieses HipHop-Ding aufgebrochen wird, dass man immer geile Reime haben muss. Man muss sich doch einfach mal hinstellen können und was singen, und das kommt trotzdem geil.“
Ganz ähnlich wie Xavier Naidoo seine Spielart von deutschsprachigem Soul entwickelt hat, entleert Eißfeld den Reggae seiner jamaikanischen Posen. Aus der militanten Feindschaft gegen Babylon wird „Vergiftet“, ein Stück darüber, dass von RTL 2 über Phil Collins, Tofu und die Nachbarn alles kontaminiert sei. Oder „Flashgott“, das mit seinen verstrahlten „Danke“-Lyrics („danke für die Vorsicht, die Einsicht, die Weitsicht und dafür, dass ich im Plattenladen immer noch coolen Scheiß krieg“) genauso nah am Konfirmandenunterricht ist wie an den Glaubensbekenntnissen der Rastas.
Links und Abitur
Diese Mischung aus Links-Sein und Abitur-Haben, Neugierig-Sein und Große-Klappe-Haben, Schlau-Sein und Sich-von-seinem-Wissen-nicht-den-Weg-zum-Machen-verbauen-Lassen ist es wahrscheinlich auch, die Eißfeld eingegeben hat, Xavier Naidoo als Gast für das Stück „Flashgott“ einzuladen, um denen, die Verweigerungshaltung mit Glaubwürdigkeit verwechseln, klarzumachen: Auch auf eure Meinung kann ich verzichten.
So wird Xavier Naidoo zu Hasskappen sortiert und der bewaffnete Kampf mit der Rettung der Vinylplatte zusammengedacht. Kein Bekenntnis zum bewaffneten Kampf, kein Aufruf zum Aufruhr. Aber dadurch, dass Eißfeld die Erinnerung daran, dass es einmal so etwas wie Gegenmacht gab, mit jugendlicher Protesthaltung auflädt, anstatt sich einfach nur den „radical chic“ herunterzuladen, ist es allerdings durchaus ein Versuch der Repolitisierung von Popmusik. Nur: Politisierung im Pop ist immer auch Strategie, als gezielte Verweigerung sogar die älteste Popstrategie ever. Nichts funktioniert besser als ein gewisses Unwohlsein mit der Starrolle, ein lautes Hallo-ich-mein-es-Ernst-Rufen. Und nichts hört man lieber als: „Ich will nicht, dass ihr meine Lieder singt.“
Jan Delay: „Searching For The Jan Soul Rebels“. Buback/Groove Attack Denyo 77: „MiniDisco“ Buback/Motor
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