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Schwäche für Kunst

■ Komplette Sammlung Grässlin: „Vom Eindruck zum Ausdruck“ in den Deichtorhallen Von Hajo Schiff

Der gute Geschmack scheint im Eingangsbereich der großen Deichtorhalle zu regieren: Ein babyblauer Porsche 911 steht dort und eine schöne Ansammlung von Blumenvasen. Aber Wohlgefallen wäre, wie immer bei aktueller Kunst, die falsche Spur. Das irgendwie nicht korrekt gebaute Auto mit seiner DDR-Lackierung wurde in Thailand nach Gedächtnisskizzen des Künstlers Tobias Rehberger gebaut und das Vasenarrangement versteht sich als ein Gruppenporträt der Familie Grässlin. Zu den großen deutschen Kunstsammlern gehört diese Familie, die sich gleich daneben auch im Großfoto des Künstlerduos Clegg & Guttman in der Art altniederländischer Malerei in düsteren Schattierungen vorstellt.

Die gesamte Sammlung Grässlin umfasst über tausend Positionen, 164 Werke daraus, von dreißig Künstlern der achtziger und neunziger Jahre, werden jetzt in Hamburg erstmals im Überblick gezeigt. Angefangen beim 1976 verstorbenen badischen Unternehmer Dieter Grässlin haben die Ehefrau und fünf Kinder gemeinsam die Sammlung aufgebaut. Jetzt haben sie auf den viertausend Quadratmetern der großen Deichtorhalle ihre Sammlung zum ersten Mal in so großem Umfang gesehen. Solch eine Möglichkeit, selbst einen Überblick zu gewinnen, ist sicherlich mit ein Grund für engagierte Privatleute, ihr Material in öffentliche Räume zu geben. Allerdings wurden Teile der Sammlung auch vor dieser Premiere schon gezeigt: In Ausstellungen in den Ladenschaufenstern von Grässlins Heimatort St. Georgen im Schwarzwald.

Sammler kaufen die Kunst der Künstler der Welt ein, um sich in die Welt der Künstler Eintritt zu verschaffen. Immerhin haben die sammelnden Eltern einen eigenartigen Erfolg erzielt: Zwei ihrer fünf Kinder sind inzwischen hauptberuflich in der Kunstvermittlung tätig – als Galeristin und Kunstvereinsleiterin. So konsequent brauchen sich die kunstsinnigen Ausstellungsbesucher nicht auf die Werke einzulassen: Angucken und Nachsinnen reicht.

Dass aktuelle Kunst nicht immer leicht zu verstehen ist, ist eine Binsenweisheit. Aber was versteht man denn heutzutage schon? „Du verstehst mich einfach nicht“ beschwert sich selbst die Puppenspielerin bei ihrer bauchredenden Puppe in komischer Verzweiflung – ein Video von Asta Gröting. Und in schräger Ironie über die Phrasen des Kunstbetriebs und der Sonntagsreden verkündet der König im Video von Christian Philipp Müller: „Ich hatte schon immer eine Schwäche für die Kunst.“

Grässlins Schwäche beschert den Besuchern Arbeiten von einem Großteil der wichtigsten Künstler der letzten zwanzig Jahre – wenn auch für Eingeweihte ohne große Überraschungen. Brav aufgeso-ckelt wartet die Fußballmannschaft von Werner Büttner, Möblierungsversatzstücke von Reinhard Mucha dekonstruieren ganze Räume, es gibt politische Votivbilder von Manuel Ocampo, einen Raum mit Großfotos von rationalistischer und faschistischer Architektur von Günther Förg, Skulpturen von Franz West oder den Birkenwald von Martin Kippenberger. Ziemlich zentral in der bunten Auswahl steht der große „Fragentopf“ des Schweizer Künstlerduos Fischli & Weiss mit so grundlegenden Sätzen wie: „Bin ich ein Schwamm? – Ist alles ein Traum? – Wie weit kann man gehen?“

Eine solche Sammlungspräsentation ist immer ein Museum auf Zeit. Und das funktioniert analog zur Arbeit des Wiener Künstlers Heimo Zobernik. Der hat eine gleichmäßig schwarz gemalte Pressspanplatte eng anliegend unter Plexiglas gerahmt und die wird so zum Spiegel: Der Kunstgegenstand wirft die Betrachter auf sich selbst zurück. Der Ausdruck, den das Werk geben kann, ist gleich dem Eindruck, der ihm gegeben wird. Kein Wunder, wenn die Lust am Sammeln sich irgendwann begrenzt und die Sammler selbst zu Kunstvermittlern werden.

Vom Eindruck zum Ausdruck – Grässlin Collection, Deichtorhallen, nördliche Halle, bis 8.7.

Katalog im Verlag Hatje/Cantz, 200 S., 49 Mark

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