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Alt werden ohne musikalische Peinlichkeit

■ Mit Chris Farlowe kam ein altes Schlachtross des britischen Blues in die Music Hall in Worpswede. Er begeisterte seine ZuhörerInnen so sehr, dass manche ihr Bier vergaßen

Wer sonst kann schon von einem Song sagen, er wäre von Mick Jagger und Keith Richards extra für ihn geschrieben worden? Chris Farlowe behauptete dies am Freitagabend in der (gut, aber längst nicht prall gefüllten) Worpsweder Music Hall so selbstverständlich, dass man es kaum bezweifeln mochte. Auch wenn man die Stones-Version von „Out of Time“ noch gut im Ohr hatte. Und er sang den Song, der ihm 1966 seinen größten Charts-Erfolg einbrachte, dann auch so souverän und abgehangen, als wäre er ein Stück von ihm.

Chris Farlowe ist ein altes Schlachtross des britischen Blues- und Soulgesangs. Kollegen wie die Stones, Eric Burdon und Georgie Fame preisen ihn als den „schwärzesten unter ihnen“, aber wirklich groß herausgekommen ist er nie. Er war und blieb immer ein Geheimtipp. Am bekanntesten wurde er noch als der Leadsänger der Rockjazzband „Colosseum“, und deren Neuformation vor einigen Jahren ist wohl auch der Grund dafür, dass Farlowe noch mal mit einer eigenen Gruppe eine CD aufnahm und auf Tournee geht. Diese neue Produktion und die neuen Lieder wurden auch immer wieder von Farlowe auf der Bühne angekündigt und -gepriesen, aber es fiel auf, dass sie ohne Ausnahme so klangen, als wären sie schon in den 60er Jahren eingespielt worden. Das machte aber gar nichts. Ganz im Gegenteil, denn das Publikum war ja gekommen, um genau solch einen klassisch-zeitlosen Blues zu hören.

Die Grundfrage bei den heute wieder auftretenden alten Heroen ist doch: Lebt die Musik noch? Versuchen da Zombies ihre Hits von einst möglichst tongetreu – und deshalb sinnlos – wiederzubeleben, oder kann da einer auch jetzt noch mit Inspiration und Spielfreude einen Song interpretieren. Chris Farlowe ist heute 61 Jahre alt, und vielleicht hat er nicht mehr ganz so viel Energie wie vor vielen Jahren in der Schauburg, als er gleich drei Songs hintereinander ohne Begleitung in Blues-Koloraturen verwandelte. Diesmal schickte er seine Band nur bei einem Blues von der Bühne, aber den improvisierte er so intensiv, eigenwillig und vital, dass auch die Zecher an der Bar für ein paar Minuten ihr Bier vergaßen.

Was Farlowe wahrscheinlich eher peinlich wäre, denn sein Auftritt war eindeutig darauf angelegt, gute Kneipenlaune zu verbreiten. Deshalb war die Music Hall in Worpswede auch der ideale Ort für diesen Auftritt. Und an diesem Anspruch gemessen, legte Chris Farlowe einen furiosen Auftritt hin. Er belästigte das Publikum nicht mit komplizierten Jazzrockarrangements (die bietet er im Sommer, wenn er mit „Colosseum“ unter anderem in Hamburg auftritt), sondern spielte grundsolide, immer bluesgetränkte Popmusik. Einen Song vom Komponisten der Small Faces, Stevie Marrott, den „Stormy Monday Blues“, einen James-Brown-Klassiker und immer mal einen der neuen Songs, die dazwischen aber nicht unangenehm auffielen.

Die Band war offensichtlich gut eingespielt, mit einem eher rockigen Gitarristen, einem Tenorsaxophonisten, der oft klang, als wäre er beim Colosseum-Bläser Dick Heckstall-Smith in die Schule gegangen, und einem Keyboarder, der mit den Hammondorgel- oder Fender-E-Piano-Sounds der 60er Jahre noch am ehesten so wirkte, als wolle er alte Zeiten heraufbeschwören. Chris Farlowe schien nie sich selbst zu zitieren. Er sang halt nur, wie er schon immer gesungen hat. Er ist einer von den Popsängern (wie auf einem ganz anderen Level auch Tom Jones), die beweisen, dass man in diesem Geschäft auch ohne musikalische Peinlichkeiten alt werden kann.

Wilfried Hippen

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