: Warum denn „Hulla-Bäck“? Nennt mich einfach Michel
Juchhu, Verbitterung: Martin Kloepfer inszeniert gut dekonstruktivistisch Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“ im Gorki Studio und macht aus dem Roman eine Komödie
Auf dem Weg zum Gorki Theater kündigen Plakate die aktuelle Ausgabe von Bizz an. Das Magazin für „Job Geld Leben“ hat die „Goldgrube Biotech“ zum Titelthema erklärt, und neben dem obligatorischen Blick in die „Zukunft der Kommunikation“ verspricht das Heft neue Erkenntnisse im „Kampf um die Ware Mensch“.
Es ist also nicht so, dass Michel Houellebecq mit seinen grundsätzlichen Überlegungen zur Warenförmigkeit der menschlichen Existenz und ihren Reproduktionsmechanismen allein dasteht. Seine Romane versprechen gerade keine besonders originellen Einsichten in die Conditio humana, sondern eine konsequent trübselige Darstellung des Bekannten: „Sie wollen sich doch nur bestätigen lassen, dass der weiße, heterosexuelle Mann über Dreißig der nigger of the world ist“, musste sich das Publikum bei der „Ausweitung der Kampfzone“ im Gorki Studio sagen lassen.
Martin Kloepfer hat Houellebecqs ersten Roman für die Bühne bearbeitet und inszeniert. Gut dekonstruktivistisch liest er den Text gegen den Text oder zumindest gegen die Erwartungshaltungen. Anstatt also mit dem Philosophen und Gesellschaftskritiker Houellebecq die Verbindungslinien zwischen Depression und Kapitalismus nachzuzeichnen, erteilt er zunächst im Programmheft dem Dichter das Wort: „Es ist noch nie so einfach wie heute gewesen, der Welt gegenüber eine ästhetische Haltung einzunehmen“, schreibt Houellebecq, „es reicht aus, einen Schritt zur Seite zu treten“ und „für einige Sekunden reglos zu werden.“
Es folgen Texte von Woody Allen und Monty Python: Die ästhetische Haltung, die Kloepfers Bühnenfassung gegenüber der Vorlage einnimmt, besteht darin, einen Schritt zur Seite zu treten und sich aus der Distanz heraus gut zu amüsieren. Die „Ausweitung der Kampfzone“ wird als Komödie gegeben. Aus dem schweigsamen und namenlosen Erzähler ist im Gorki Studio die Karikatur des Schriftstellers selbst geworden. Kein Klon, eher ein Clown: Frank Seppeler trägt ein Namensschild, das ihn als „Michel“ ausweist, munter krakeelt er „Verbitterung!“ Die schmale Krawatte hängt ihm dabei so übertrieben existenzialistisch vor dem weißen Hemd, wie man es zuletzt auf Porträtfotos von Houellebecq gesehen hat.
Im Gegensatz zu der etwas angestrengten vierstündigen Auseinandersetzung mit den „Elementarteilchen“ an der Volksbühne ist Houellebecq im Gorki Studio eine übersichtliche Angelegenheit von zwei Stunden. Die Geschichte des traurigen Pariser Informatikers, der seinen Kollegen Tisserand (noch mehr Clown: Thomas Schmidt) zu einem Mord zu überreden versucht, wird locker nacherzählt und mit Ausschnitten aus Houellebecq-Interviews und wahnwitzigen Spiegel-Artikeln zur Zukunft der Kommunikation nachdekoriert: Zuversichtliche Medientheoretiker kann man eben genauso wenig ernst nehmen wie pessimistische Gesellschaftskritiker. Und so ist zuletzt auch die desillusionierende Einsicht, dass Glück nichts anderes ist als „jemanden zu haben, der einem die Eier krault“, in der nahe liegenden szenischen Umsetzung lustig anzusehen. Wenn Houellebecq zuweilen zum Psychiater der Spätmoderne stilisiert wird, dann ist diese Inszenierung fröhliche Anti-Psychiatrie.
Oder? „Oder sollen wir etwas Trauriges machen? Wollen Sie etwas Trauriges sehen?“ – Ach was. Auch das ältere Ehepaar in der dritten Reihe, das jeden nackten Mann auf der Bühne mit einem begeisterten Quieken begrüßte und sich zuerst nicht einigen konnte, ob man Houellebecq nun „Hulla-Bäck“ oder „Hell-Bäck“ aussprechen soll, dürfte zufrieden sein: Houellebecq ist gar nicht so, man darf ihn einfach „Michel“ nennen.
KOLJA MENSING
Die nächste Vorstellung wird am17. April, 20 Uhr im Gorki Studio, Am Festungsgraben 2, Mitte, gegeben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen