: Ja, ist denn schon Fußball?
Nach zehn gelben Karten, drei Platzverweisen, viel Geplauder und einem angeblichen Fußballspiel zwischen Dortmund und Bayern (1:1) steht fest: Die Bundesliga ist so schlecht, wie alle denken
aus Dortmund ULRICH HESSE-LICHTENBERGER
Man ist es bei popkulturellen Großereignissen mittlerweile gewohnt, dass im Vorfeld eine Art Maulseuche ausbricht. Da wird tagelang erst geredet, dann geplaudert und schließlich nur noch gequatscht. Immerhin ist es in der Regel so, dass die eigentliche Sache diese Diskussionen dann doch kurz unterbricht und wenigstens Ansätze eines Wettkampfes zu bieten hat: Jemand singt und fährt zum Grand Prix; ein Hund sammelt Stofftiere und wird von Thomas Gottschalk zum Wettkönig gekürt; Regina Halmich schlägt Stefan Raab zu Boden. Das ist nicht viel an Handlung, aber immerhin etwas.
Die Fußballteams von Borussia Dortmund und Bayern München erweiterten nun dieses Szenario am Samstag um eine neue Note. Wer nämlich geglaubt hatte, dass über dieses Spitzenspiel der Bundesliga bereits alles gesagt worden war, musste feststellen, dass die Akteure anderer Meinung waren. Da wurde ausgiebig diskutiert und lamentiert, argumentiert und postuliert. Die Ausführung eines simplen Freistoßes konnte sich vier Minuten hinziehen, weil die Spieler erst diverse Einzelheiten mit Schiedsrichter Hartmut Strampe zu klären hatten, bevor sie sich dann untereinander noch darüber verständigten, wer warum im Unrecht und überhaupt ein Schuft sei. Wem mal kurz die Luft wegblieb, der nahm die Arme zu Hilfe und kehrte gestenreich sein Innenleben nach außen.
Das Spiel erinnerte an einen orientalischen Basar, auf dem halbseidene Händler alles geben, um den Preis für die Deutsche Meisterschaft zu drücken. Oder vielleicht doch eher an „Takeshi’s Castle“, jene japanische Spielshow, die sinnigerweise im Deutschen Sport-Fernsehen läuft. Dort versucht eine Gruppe kostümierter Kandidaten, eine Pappburg zu erstürmen, und wird dabei stetig dezimiert. Diese Aufgabe übernahm Referee Strampe, der erst die Münchner Lizarazu und Effenberg vom Platz stellte und dann auch noch den Dortmunder Evanilson nicht mehr sehen wollte. Nebenbei zog er auch noch zehn Mal eine inzwischen abgewetzte gelbe Karte aus der Tasche und hielt in fast jeden dieser Fälle ein Pläuschchen mit dem Betroffenen.
Und als dann mit dem Abpiff alles vorbei schien, da wurde noch eben das gesagt, was man auf dem Platz zu erwähnen vergessen hatte. Uli Hoeness giftete, der Dortmunder Otto Addo gehöre wegen angeblicher Schauspielerei „nicht auf den Fußballplatz, sondern in einen Zirkus“, obwohl er doch genau dort eben gewesen war. Dann rechnete er vor, dem Schiedsrichter seien „mindestens dreißig Fehler“ unterlaufen, und er habe „keine Ausstrahlung gehabt“. Die Trainer Matthias Sammer und Ottmar Hitzfeld versuchten derweil zu retten, was zu retten war, und einigten sich darauf, dass „viele Spieler übermotiviert waren“ (Hitzfeld) und „das Ergebnis in Ordnung gehe“ (Sammer).
Dieses Ergebnis lautete 1:1. Santa Cruz hatte den einzigen guten Angriff der Bayern zum frühen 0:1 abgeschlossen, Bobic dann ausgeglichen, als der Gast nur noch zehn Akteure hatte. Begibt man sich nun weg von Sarkasmus und Ironie und auf die Linie der Trainer, die da besagte, dass trotz allem ein Spiel stattgefunden habe und man sich doch nicht nur auf die Begleitumstände konzentrieren solle, so lautet das Fazit: Die Bundesliga ist in der Tat so schlecht, wie das ausländische Beobachter immer festhalten.
Bayern München, der Tabellenführer, spielte eine Stunde lang praktisch nicht nach vorne. Selbst Hitzfeld sagte, sein Team habe „defensiv gut gestanden, aber zu wenig aus den Kontern gemacht“. Was er nicht sagte, war, dass seine Elf dafür stets bemüht war, den Spielmacher des Gegners niederzuknüppeln. In der ersten Häfte wurden innerhalb von sieben Minuten gleich drei Münchner nach Attacken gegen Tomas Rosicky völlig zu Recht verwarnt. Borussia Dortmund, vor der Partie Tabellenzweiter, spielte nach Effenbergs umstrittenem Platzverweis über eine halbe Stunde lang gegen neun Mann und schloss dennoch jeden Angriff mit einem Verzweiflungsschuss aus der Distanz ab. Selbst die größte Siegchance – ein Innenpfostentreffer von Rosicky in der Nachspielzeit – entsprang einem Freistoß. Niemand wollte Sammer deshalb widersprechen, als er Fragen nach der Meisterschaftschance seiner Elf damit abwehrte, dass man „doch gesehen hat, wie wir mit zwei Mann mehr gespielt haben“.
Das einzig Positive an diesem schwarzen Abend für den deutschen Fußball: die Abwesenheit von Franz Beckenbauer.
BVB Dortmund: Lehmann - Wörns, Oliseh, Metzelder (64. Reina) - Evanilson, Ricken (71. Nerlinger), Heinrich, Dede - Rosicky - Bobic, Addo (87. Nijhuis) Bayern: Kahn - Kuffour, Andersson, Linke - Salihamidzic, Jeremies, Effenberg, Lizarazu - Santa Cruz (57. Sagnol), Elber (84. Zickler), Scholl (80. Sergio)Tore: 0:1 Santa Cruz (6.), 1:1 Bobic (52.), Rote Karten: Effenberg (55.), Evanilson (90.) beide wg. groben Foulspiels; Gelb-Rot: Lizarazu (35.) wg. wiederholten Foulspiels
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