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„Darf man nicht stolz sein?“

Übersetzung von Folge 1 der neuen taz-Serie „Lateinstunde“: “Nonne licet superbire?“ Hilferufe von in der Amerikanismenflut Ertrinkenden

Das Abendland macht einmal mehr das, was es anscheinend am besten kann: es droht unterzugehen. Scheint wirklich das ganze Abendland dem Untergang geweiht? Oder betrifft der Untergang nur Deutschland, die deutsche Sprache?

Die Flut an Anglizismen - eigentlich gemeint ist aber: Amerikanismen - überschwemme Europa, so sagt man, die ganze Welt, besonders aber das Deutsche. Stimmt das alles? Durchaus. Nachdem die „Früchte“ des kalten Krieges allein von den USA eingefahren worden sind, die in Amerika entwickelte Computertechnologie auf der ganzen Welt begierig aufgenommen worden ist und die amerikanische Leitkultur zum Paradigma einer allgemeinen Globalisierung geworden ist, haben die ökonomische, und politische Macht wie auch das Attraktive der Gewinnerkultur eine große Menge amerikanischer Wörter in viele Sprachen der Welt und in alle Sprachen Europa gepresst.

Die Frage ist: Ist das Deutsche besonders betroffen? Ja. Denn die Zahl der Amerikanismen ist im Deutschen um vieles größer als in anderen europäischen Sprachen. Wenn man die Zahl vergleicht, ergibt sich für das Deutsche ein Vielfaches. Deutschland steht einzigartig da, was die Amerikanismen betrifft, man denke an die Computerbegriffe und die der Neuen Wirtschaft wie New Economy - Neue Wirtschaft, Start-up - Neugründung, E-Commerce - E-Handel, Sharholdervalue - Unternehmenswert, E-Mail - E-Post, Computer - Rechner, PC - PR (Perönlicher Rechner), Internet - Zwischennetz/Netz, Homepage - Heimseite, Website - Gewebeort/Netzort usw.

Warum mögen sich so viele Amerikanismen ausgerechnet im Deutschen herumtreiben? Ich denke, durch die Kraft, die vom Gewinner der Globalisation ausgeht, werden alle angezogen. Für Deutsche aber ist diese Gewinnerkraft doppelt: Für Deutsche erscheint Amerika als Gewinner sowohl der Globalisierung als auch des Zweiten Weltkrieges. Die Psychologie kennt das Phänomen der Überanpassung an den (auch moralisch) übermächtigen „Aggressor“: Einige Deutsche mögen nach dem zweiten Weltkrieg Deutsch für eine V e r b r e c h e r s p r a c h e gehalten haben, für die meisten ist sie auch und besonders heute V e r l i e r e r s p r a c h e. Deutsch hält man für nicht „sexy“.

So erklärt die Krimiautorin Thea Dorn in einer Talkshow se currere (d.h. “sie jogge“), sed minime currere (d.h. „dauerlaufe“), durch jenes (“joggen“) werde eine moderne Lebensart ausgedrückt, durch dieses (“dauerlaufen“) eine provinzielle. Dabei hat sie vergessen, dass sie dadurch, dass sie den Trends nachjagt gerade ihre eigene Provinzialität offenbart: Meins ist provinziell, daher das Andere.

Aber: Trends sind zu „setten“, ihnen ist nicht hinterherzuhecheln! Was zeigt das? Es zeigt, dass für den Deutschen das Deutsche nichts selbstverständliches ist, vielleicht nicht sein kann, vielleicht noch lange nicht sein wird. Es scheint sich um dieselbe Nationalidentitätsstörung zu handeln, die sich in der Diskussion um den Satz zeigt: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“

Man fragt nur: „Darf man nicht stolz sein? Darf man stolz sein?“ Beide Positionen haben etwas Kompensatives, offenbaren ein Gefühl von etwas Außergewöhnlichem, von etwas, das nicht selbstverständlich ist: Die einen, die alles irdendwie Deutsche immer und absolut verachten, um sich selbst für lieb und gut halten zu dürfen, möchten vielleicht durch Distanzierung kompensieren, dass sie von aller Welt als „ugly Germans - häßliche Deutsche“ angesehen werden. Die anderen, die Nationalisten, die sich angegriffen sehen von den Deutschverächtern, Ausländern, dem Ausland, von der ganzen Welt, versuchen ihre Angst durch Hass zu kompensieren. Aber manchmal ist der Platz zwischen den Stühlen zu bevorzugen: Warum diskutieren?

Hier gilt in der Tat: Schweigen ist Gold, reden ist Schmutz und Schutt. Sprache aber verändert sich nicht dadurch, dass man sie diskutiert, sondern durch die Art, wie man (miteinander) redet und wie man schreibt. Wer Amerikanismen für überflüssig hält, vermeide sie! „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es (Erich Kästner) Dafür muss man wohl sich selbst (d.h. das Individuum und mehr, z.B. die Sprachgemeinschaft) erst selbst einmal achten. KLAUS MACKOWIAK

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