: Übler Terror und große Klassiker
Das Zweite Japanische Filmfestival im 3001 geht in die zweite Woche ■ Von Jakob Hesler
„Blutverschmiertes Zelluloid“, „übler Terrorstreifen“, „überzogene Gewaltdarstellung“ – mit solchen Vokabeln wirbt das Programmheft. Doch der erste Eindruck täuscht: Das japanische Kino richtet sich nicht nur an abseitige Gewaltfreaks. Denn ers-tens ist Gewalt im Kino sowieso nicht abseitig, sondern gehört zu seinem ureigenen Wesen. Handelt es sich doch um jene Kunstform, die dem Betrachter eine Wirklichkeit physikalisch aufzwingt. Wenn diese exzessive Gewalt zeigt, stellt sie damit auch die Frage nach ihrem eigenen Status. Ultrabrutales wie Fudoh von Takashi Miike (Audition, Dead or Alive) oder Kichiku von Kazuyoshi Kumakiri hat deshalb oft den Charakter eines ontologischen Experiments an der Grenze zwischen Medium und Wirklichkeit. Was natürlich auch eine gute Ausrede für abseitige Gewaltfreaks ist.
Zweitens aber zeigt das diesjährige Programm das japanische Kino noch von ganz anderen Seiten als der blutroten. Im Yakuza-Film Chinpira markiert gerade die inszenatorische Abkehr von Gewalt als dominantem Stilmittel eine interessante Variation aufs Genre. Die Sinnkrise des japanischen Modernisierungsprozesses wird nicht wie etwa bei Kitano in Form sinnentleerter Gewaltrituale vorgeführt. In Rokuro (jap.: „Rock'n'Roll“) Mochizukis neuem Werk versucht Hilfs-Yakuza Osamu vielmehr, die Leere des Daseins durch Sex zu kompensieren. Der Beau ist im organisierten Verbrechen nur Handlanger: er muss Wache schieben oder Callgirl-Reklame in Telefonzellen aufhängen. Dafür hat er Erfolg bei den Frauen, über seinen ständigen Bettgeschichten wird der Film beinahe zum Softporno. Erfüllung bringen sie kaum. Die lakonische Erzählweise balanciert Mochizuki durch eine tröstliche Nebenhandlung am Meer. Osamu freundet sich mit einem pubertierenden Mädchen an, das er vor der Prostitution bewahrt, indem er mit ihm am Strand umherphilosophiert. Erstaunlich heiterer Hoffnungsschimmer in der trostlosen Yakuza-Welt.
Mit unverhofftem Optimismus in Zeiten der Sinnlosigkeit endet auch einer der schönen Klassiker der Reihe, Akira Kurosawas Rashomon von 1950. Die Frage ist nur, ob man diesem Ende trauen soll. Rastende Wanderer erzählen sich gegenseitig die Geschichte der Vergewaltigung der schönen Masago (Machiko Kyo) durch Räuber Tajumaro (To-shiro Mifune), wie sie von den Beteiligten vor Gericht geäußert wurde – in einander völlig widersprechenden Versionen. Kurosawa zeigt sie alle, objektive Wahrheit scheint es nicht zu geben. Zum Schluss wieder die Rahmenhandlung: Die Wanderer finden ein Baby. Einer der drei nimmt sich seiner an. Eine existenzialistische gute Tat im Angesicht des Absurden, Aufruf zum Handeln trotz alledem? Das bleibt offen, denn in dieser Studie über den menschlichen Faktor der Wahrheit ist die Kategorie ,Erzählung' als ihr mögliches Vehikel selbst suspekt geworden. Und Rashomon ist ja schließlich auch eine Erzählung. Eine Erzählung der Erzählung der Erzählung, um genau zu sein.
Nicht um Verhehlung, sondern um Verkennung der Wahrheit geht es in Ran (1985). Kurosawas düs-ter-prächtige King Lear-Adaption ist im feudalen Japan des 16. Jahrhunderts angesiedelt. Der greise Großfürst teilt das Reich unter den drei Söhnen auf. Der jüngste, sein Liebling, warnt vor diesem Schritt, der verblendete Großfürst verstößt ihn erzürnt. Nur um seinerseits von den beiden undankbaren älteren Söhnen verstoßen zu werden und anschließend seine Länder im hass-erfüllten Bruderzwist untergehen sehen zu müssen. Vor lauter Leid überfällt ihn der Wahnsinn. Die Burg brennt schon, von links drängen die gelben Truppen, von rechts die roten. Pfeile schwirren durch die Luft, aber der Großfürst bleibt wie versteinert stehen, starrt entsetzt ins Leere. Dann irrt er hinaus in die Steppe. Kurosawas Lear ist noch finsterer als das Original, und er verdeutlicht die eigentliche Tragik des Stoffes: Dass der Fürst nämlich an genau jenen blutigen Methoden zugrunde geht, mit denen er einst selbst an die Macht kam.
Fungieren geschichtliche Mächte in der Tragödie als existenzielle Chiffren, so erscheint der Mensch im Märchen andersherum als pure Funktion mythischer Geschichte. Der Trickfilm Prinzessin Mononoke von Heidi-Schöpfer Myazaki hat dafür offensichtlich so allgemeingültige Bilder gefunden, dass er zum erfolgreichsten japanischen Film aller Zeiten wurde. Mit erfreulicher dialektischer Wachheit vermeidet das Öko-Epos ein simples Schwarz-Weiß-Bild des Konflikts von Fortschritt und Natur und bleibt ansonsten harmlos – obwohl selbstredend „extrem blutig“ (Programmheft). Womit wir wieder beim Gewaltthema wären, zu dem noch zwei Spielarten zu erwähnen bleiben: Gaea Girls ist eine reißerische, aber sehenswerte Doku über leidensfähige Junior-Wrestlerinnen im Trainigslager. Und Blister schildert etwas pennälerhaft die Obsessionen der Sammler von Action-Figuren. Deren Verpackungen darf man keinesfalls öffnen: die Gewalt bleibt hier unterm fetischistischen Deckel.
Gaea Girls: Do 20.30 + Di 22.30 Uhr; Ran: Do+ So 22.30 Uhr; Die Geschichte von PuPu: Fr 20.30 Uhr; Rashomon: Fr 22.30 + Mo 20.30 Uhr; Monday: Sa 20.30 Uhr; Japan Gore Night (Fudoh und Kichiku Dai Enkan): Sa, 22.30 Uhr; Chinpira: So + Mi 20.30 Uhr; Prinzessin Mononoke: Mo 22.30 Uhr; Der Tiger von Osaka: Mi 22.30 Uhr, alle 3001
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen