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Arbeiten mit der jungen Elite

■ Das Landesjugendorchester Bremen begleitet Stummfilme und wagt sich auch an schwere musikalische Brocken. Jetzt feiert es den 30sten Geburtstag. Ein Jubiläumsinterview zum Jubiläumskonzert mit dem Chef Stefan Geiger

Der Bremer Dirigent Henry B. Köster war einer der ersten: Schon 1971 hatte er die Idee, hoch begabte musizierende SchülerInnen zu quasi professionellen Orchesterprojekten einzuladen. Daraus entstand – wie später in anderen Bundesländern auch – das Landesjugendorchester Bremen (LJO). In diesen Tagen feiert es seinen 30sten Geburtstag. Die These, dass deswegen mehr Jugendliche zu BerufsmusikerInnen geworden sind, ist zwar eine Spekulation. Aber möglich ist es immerhin. Denn im Schnitt wird ein Drittel der TeilnehmerInnen später Musik studieren. Köster tourte mit dem Orchester in die USA, Südafrika, Holland und Schottland, Frankreich und Spanien. Dabei sammelte er unschätzbar wertvolle Erfahrungen, an die auch der neue LJO-Leiter Stefan Geiger anknüpfen will.

Geiger ist seit 1991 erster Soloposaunist beim NDR-Sinfonie-Orchester und bekam als Neunundzwanzigjähriger eine Professur für Posaune und Kammermusik an der Hochschule für Musik in Hamburg. Die Begeisterung für seine ehrenamtliche Dirigententätigkeit beim LJO strahlt ihm aus Augen und Worten, als wir anlässlich des Festkonzerts morgen Abend in der Waldorfschule mit ihm sprachen.

taz: Herr Geiger, Sie sind Soloposaunist in einem renommierten Orchester. Das ist eigentlich ein Fulltimejob. Es drängt Sie dennoch zum Dirigieren. Ist das eine Alternative, die mit wachsendem Alter an Priorität gewinnt?

Stefan Geiger: Nein. Ich will beides, ich will einfach vielseitig musizieren. Das war schon bei uns zu Hause so, mein Vater leitete eine Musikschule. Und ich freue mich auch immer wieder auf den Wechsel. Wenn ich von dieser ganzen Organisiererei hier im Jugendorchester komme, dann gehe ich in mein Orchester zurück, da wird alles für mich gemacht. Das ist einfach toll.

Wie haben Sie das LJO kennen gelernt?

Ich habe in der Musikhochschule in Bremen, wo ich meinen Dirigierabschluss gemacht habe, in einem Orchesterkonzert dirigiert. Dabei wurde ich für das LJO „entdeckt“. Ich hatte hohe Erwartungen, die allerdings etwas gedämpft wurden. Das Orchester hatte unter der jahrelangen Krankheit von Köster doch sehr gelitten.

Sie haben in Katharina-Nora Tiedke seit einem Jahr eine zwar studentische, aber richtig ambitionierte Geschäftsführerin. Sie waren mit dem Orchester in Brasilien und planen neue Tourneen mit großem sinfonischen Repertoire. Mit welchem Ziel laufen künstlerische Leitung und Management?

Das Ziel, das allerdings Gott sei Dank schon verwirklicht wird, ist zunächst einmal die pädagogische Seite: die Jugendförderung.

Fast alle MusikerInnen sind ja (noch) Laien, aber was sich technisch und interpretatorisch abspielt, ist Professionalität. Wie beschreiben Sie dieses besondere Spannungsfeld?

Anders als in einem Profiorchester kommt einem hier die ungebremste Begeisterung entgegen – Tag und Nacht, man lebt wie auf einer Insel. Auch wenn vieles in den Proben länger dauert als bei Profis, sind die Jugendlichen aufgrund ihrer immensen Motiviertheit in der Lage, zu erstaunlichen Ergebnissen zu kommen. Und es ist von besonderem Reiz, mit einer solchen jungen Elite zu arbeiten. Bitte, das Wort Elite ist hier nicht wertend gemeint, es ist ganz einfach eine Tatsache.

Die Projekte des LJO sind grundverschieden. Sie haben Stummfilme begleitet, sie spielen Sinfoniekonzerte, aber auch größer besetzte Kammermusik. Wie kommt es zu den entsprechenden Besetzungen.

Wir geben das Projekt bekannt und dann kommen Bewerbungen. Etwa drei Viertel lehnen wir ab, ein Viertel nehmen wir. Wir können dabei in Bremen auf eine hervorragende Streichersubstanz zurückgreifen, mit den Bläsern ist es nicht ganz so rosig.

Sie haben für morgen Abend eines der erschütterndsten Werke von Dimitri Schostakowitsch ausgesucht, jene Streichersinfonie, die der Komponist „Dem Gedächtnis der Opfer des Faschismus und des Krieges“ gewidmet und geschrieben hat, nachdem man ihn 1960 zum Eintritt in die KPdSU gezwungen hatte.

Ich habe gar keine Scheu vor solch tragischen Stücken. Ein solches Stück und sein Hintergrund wird von den jungen SpielerInnen im Orchester lebhaft diskutiert.

Sagen Sie noch etwas zur Finanzierung des Orchesters. Wie ist es damit?

Natürlich alles ganz schecklich, aber irgendwie geht's immer. Ich habe viel praktische Unterstützung durch Ehemalige und Freunde. Die Fahrt nach Brasilien hat der Deutsche Musikrat unterstützt. Der Senat Bremen gibt auch mal Projektmittel dazu. Um die Probenphase außerhalb Bremens finanzieren zu können, zahlt jedes Mitglied 80 Mark für Kost und Logis selbst. Dann haben wir seit 1999 einen privaten Förderverein. Es läppert sich so. Aber vom Niveau und der Ausstrahlung her müssten wir freilich auf ganz anderen Füßen stehen.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze

Konzert am Karfreitag, 13. April, um 20 Uhr in der Waldorfschule in der Touler Str. 3: Das Landesjugendorchester Bremen spielt Schostakowitsch und Peter Tschaikowski, Sinfonie Nr. 5.

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