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Hat sich ausgezappelt

Bitte alle mal stillhalten, wenn das Licht angeht: Thomas Bischoff inszeniert „Baal“ an der Volksbühne und verwandelt Bertolt Brechts expressionistischen Erstling mit allerhand Kunstgriffen in ein unbewegliches Oberflächenphänomen

Das Problem ist, dass man Leichen nicht umbringen kann. Wenn man jemand effektvoll lynchen möchte, muss er zumindest noch ein bisschen zappeln. Baal, so wie ihn Thomas Bischoff in der Volksbühne zum Abschlachten freigibt, ist jedoch schon der Totenstarre verfallen, als der Scheinwerfer zum ersten Mal auf sein blasses Gesicht fällt.

„Baal“, 1918/19 entstanden, ist Brechts expressionistischer Erstling. Die Titelfigur: ein asozialer Dichter in einer nicht minder asozialen Gesellschaft, genusssüchtig, triebhaft, in seiner Lebensgier brüllend über Leichen gehend. Baal ist die Sonne, um die alles kreist; Baal ist das Schwarze Loch, in dessen lockender Finsternis alles verschwindet. Moral, Anstand, Gesetze werden bedeutungslos, weil für Baal, und alle in seinem Orbit taumelnden Gestalten, allein Baal Maßstab ist. Ein animalischer Allesfresser, der viehisch verrecken wird.

Selbstverständlich muss man „Baal“ 80 Jahre nach der Uraufführung nicht so auf die Bühne bringen, wie Brecht es 1923 selbst getan hatte. Wenn man das Stück jedoch komplett gegenläufig inszeniert, sollte man damit ein Konzept verfolgen, dessen Grundidee erstens erkennbar und zweitens interessant ist; sonst ist es für den Zuschauer nämlich verdammt schwer erträglich, zwei Stunden lang auf anämische Starrheit zu glotzen, wo man sich doch eigentlich von Ausschweifungen verführen lassen wollte. Thomas Bischoff hat Stück und Figuren in ein Korsett gezwängt, das selbst dem Publikum alle Lebensgeister abschnürt.

In einem blauen Raum stehen rot uniformierte Gestalten (Bühne und Kostüme: Uta Kala), Aufziehpuppen, die so mechanisch sprechen, wie sie vor- und zurücktreten oder ab und an eine roboterhafte Saturday-Night-Fever-Einlage bieten. Baal (Markus Meyer) tritt auf im schwarzen Pelz (ah! anders!), auch er ein Gestenloser, dessen Arme schlaff baumeln.

Seine Mutter wird von der jungen Marina Galic, die Mädchen, die er verführt, werden von alten Schauspielerinnen gespielt. Das könnte eine Bedeutung haben, aber warum sie ergründen, wenn Bischoff es offensichtlich selbst nicht ernst meint: Für Cunnilingus und andere Körperlichkeiten wird dann doch lieber eine attraktive Tänzerin aus Kresniks Ensemble vorgeschoben. Eine wahre Peinlichkeit, die noch schlimmer wird dadurch, dass sie auf der Bühne als eleganter Kunstgriff verkauft wird.

Was die Aufführung so öde macht, ist ihre manierierte Kunstfertigkeit, die alles auf der Oberfläche hält. Baal ist arrogant, bisweilen sogar selbstmitleidig, aber nicht radikal. Der unbeirrbare Kern, der Brechts Figur trotz aller Bosheit so attraktiv macht, existiert nicht.

Wer den Sex von Anarchie und Macht spüren will, sollte sich den „Baal“ im Orph Theater angucken (was nur mit Glück möglich ist, da die letzten Vorstellungen ausverkauft sind). In Susanne Truckenbrodts Inszenierung bewegt sich Uwe Schmieder souverän durch expressionistische, Varietee- und Talkshow-Traditionen – mit einem solch professionellen Samstagabend-Herzensbrecherlächeln, wie es schon Millionen von Hausfrauen von Hurerei hat träumen lassen. Verführung ist eine Kunst, die das Theater beherrschen muss.

CHRISTIANE KÜHL

Nächste Aufführungen: 14., 20., 30. 4., 19.30 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

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