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Archäologie der Bilder

Jenseits des Kommunikationsromans: Der Filmemacher Craig Baldwin zeigt im Arsenal eine Auswahl seiner politischen Collagen aus der Medien- und Technologiegeschichte

Vorweg steht in Craig Baldwins Filmen immer die Erkenntnis, dass seit der Technologisierung der Kommunikationsmedien die Geschichtsschreibung nur noch als eine große mediale Erzählung aufgefasst werden kann. Deren Träger (die Bilder) sind nach Belieben mit Inhalten aufladbar, die es formal zu adaptieren gilt. Das Bilderrepertoire und die zu seiner Verbreitung nötigen Technologien unterstehen einem streng hierarchischen Verteilungsapparat, der alle historischen Unter- und Nebenströmungen in einem nivellierten Geschichtsfluss zusammenfügt.

Hinter dieser Weltsicht steckt natürlich immer auch eine typisch linke Verschwörungstradition, wie sie sich die amerikanische Kommunikationsguerilla, die Culture-Jamming-Aktivisten und Media Prankster, seit den 80er-Jahren verinnerlicht haben. Baldwins Ansatz greift jedoch fundierter, weil seine filmischen Arbeiten sich (meistens) nicht mit dem parodierenden Moment der Spaß-Guerilla zufrieden geben, sondern weil er auch auf die Beweislast eines umfangreichen Archivs rarer Medienfundstücke zurückgreifen kann. Baldwin versteht sich als Medienarchäologe. Seit fast zwei Jahrzehnten spürt er in der Medien- und Technikgeschichte nach einer Parallelhistorie, die zwar offen zu Tage liegt, aber zum historischen Kanon keinen Zugang gefunden hat, weil die Geschichtsschreibung natürlich immer nur einigen Wenigen vorbehalten bleibt. Der Physiker Nikolas Tesla, der sich stets gegen eine industrielle Vereinnahmung gewehrt hat und dafür heute in wissenschaftlichen Kreisen als Faktotum betrachtet wird, ist da ein Beispiel.

Indirekt zeigt Baldwin in seinen Filmen auch die Mechanismen dieser medialen Geschichtsrevidierung auf: Durch die rasante Entwicklung im Technologie- und Kommunikationszeitalter „verschwinden“ unliebsame historische Fakten und Images spätestens nach dem dritten oder vierten Evolutionsprozess des Speichermediums aus dem kollektiven Gedächtnis. Die Informationen sind zwar weiterhin vorhanden, aber aufgrund veralteter Technik nicht mehr ohne Weiteres abrufbar.

Baldwins Filme sind Collagen aus dem audiovisuellen Fundus dieser Parallelhistorie: Durch die Verwendung von Found Footage, längst verschollen geglaubtem Archivmaterial, alten Sci-Fi-B-Movie-Schnipseln, Lehr- und Propagandafilmen und Nachrichtensendungen unterminiert er die Gewissheit einer von den Medien kolportierten, absoluten Wahrheit.

Kernstück des von Baldwin jetzt präsentierten dreitägigen Programms im Kino Arsenal ist sein bisheriges Hauptwerk „Spectres of the Spectrum“ von 1999. Die 98-minütige Montage erzählt in wahnhaftem Tempo die Geschichte der Telepathin BooBoo und ihrem Vater Yogi, die im Jahr 2007 in einem Randbezirk von Las Vegas mit Piratensendungen gegen die „New Electromagnetic Order“ agitieren. Diese „Neue Elektromagnetische Weltordnung“ ist natürlich nur eine Allegorie auf das Hegemonialstreben der Neuen Technokraten wie Bill Gates, Ted Turner oder Rupert Murdoch. Gleichzeitig reißt Baldwin ein dicht wucherndes, komplexes Referenzfeld auf, dessen Informations- und Verweisdichte sich erst nach mehrmaliger Sichtung komplett erschließt.

Am klassischen Prankstertum orientiert sich der zweite Teil seines Programms: „Press Play to Agitate: Pirates, Parodists And The Prank Documentary“ ist eine Zusammenstellung einiger der originellsten amerikanischen Media Hackings. Explizit politisch ist die Dokumentation über den WTO-Gipfel in Seattle „Breaking the Spell – Anarchists, Eugene and the WTO“. Mit der Wahl dieses Beitrags zollt Baldwin schließlich auch dem politischen Anarchismus seines Lehrmeisters Noam Chomsky Tribut.

ANDREAS BUSCHE

Filme von Craig Baldwin, 18. bis 20. April im Arsenal, Potsdamer Straße 2, Tiergarten

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