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„Dägä?“ – „Dägä!“

Der finnische Sprachanalytiker, Dünnbiertrinker und Musiker M. A. Numminen singt, wovon man nicht sprechen kann

Seine Stimme ist eine Zumutung. So darf man eigentlich nur klingen, wenn man in der Muppets Show mitspielt. Aber Mauri Anteri Numminen ist die Inkarnation des Skurrilen, und in Finnland kennt jedes Kind den inzwischen 60-Jährigen, weil er der Star einer populären Kinderserie war.

Auf seinen über 40 Tonträgern singt er nicht nur in seiner Muttersprache, sondern auch Englisch, Schwedisch, Lateinisch und vor allem Deutsch. Diese Sprache war ihm schon als Student im Helsinki der Sechzigerjahre wichtig, schließlich ist sie die von Marx und Marcuse. Aber auch Ludwig Wittgenstein hinterließ bei dem Studenten der Philosophie, Soziologie und Sprachwissenschaften einen bleibenden Eindruck, hat er doch dessen „Tractatus logico-philosophicus“ vertont. Eins dieser sechs Stücke kommt mit einem Satz aus, dem Schlusssatz Wittgensteins: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“

Singen jedoch ist erlaubt. Wenn man Numminens lallendes Kieksen überhaupt Singen nennen kann. Immerhin scheint der Mann mit dem zerknautschten Gesicht zu wissen, was er tut. Er selbst bezeichnet seine Musik als „neorustikalen Jazz“. Das ist provinzielle Musik, versetzt mit ein paar Exotismen. Einige Tonfolgen sind bei Wagner geklaut. Und trotzdem ist das avantgardistisch, jedenfalls war es das in den Sechzigern. Doch M.A.N. experimentiert auch in den Sphären von Rock und Punk bis Techno. Letzterer wird bei ihm sprachanalytisch behandelt: „Tech no, Tech yes, Tech perhaps“.

Zu Finnland gehört natürlich unweigerlich der Tango, der laut Aki Kaurismäki eigentlich eine Erfindung dieses Landes ist. Finnischer Tango hat allerdings wenig mit dem aus Argentinien zu tun und ist eher ein Konglomerat aus russischer Schmalzromantik und deutscher Marschmusik, zu der man auch weniger tanzt als geht. Seine literarische Liebeserklärung hat Numminen in dem im letzten Jahr auf Deutsch erschienenen Roman „Tango ist meine Leidenschaft“ formuliert, in einer Geschichte, die genauso sonderbar wie seine Musik ist und ebenso auf einer theoretischen Basis fußt. Das unterscheidet ihn auch von Künstlern wie Helge Schneider, mit dem er ansonsten viel gemeinsam hat. Numminens Werk ist philosophisch fundiert und unverkennbar finnisch. Hinter all dem Blödsinn liegt immer ein Hauch melancholischer Nachdenklichkeit, für die man offenbar massive Mengen an Alkohol benötigt. In seiner Heimat ist Numminen auch als „Dünnbierexperte“ bekannt. „Wir Finnen sind ein Mollvolk“, hat er mal gesagt.

Seine Lieder lassen sich schwer in Worte fassen. Man muss sie schon fühlen. Oder zumindest hören wie das Stück „Gebärde für drei Rülpser“, das in die Reihe „Die Stimme des Menschen in der modernen Musik“ gehört. Was da zu hören ist, verspricht schon der Titel. Numminen singt ein Lied über die Mundbürste, philosophiert über die Freiheit oder sagt einfach nur Dägä. Dägä ist seine Version von Underground.

Jetzt gibt es eine facettenreiche Kompilation, erschienen bei dem Münchner Label Trikont, das sich auf dem Gebiet seltsamer Musiken schon unzählige Male verdient gemacht hat. „Dägä Dägä. Finnwelten“ ist ein Meilenstein. Es ist, wie man es von Trikont gewohnt ist, mit einem umfangreichen Booklet ausgestattet, das unter anderem auch Anmerkungen zu den einzelnen Liedern enthält, „geschrieben von Numminen selbst, als ob er jemand anderes wäre“. THILO BOCK

M. A. Numminen: „Dägä Dägä. Finnwelten“. (Trikont US - 0286/ Indigo)

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