: Leben und arbeiten
Junge, arrogante Kreative und New-Labour-Typen, wenig angestrengter Sozialrealismus: Das britische Independent-Filmfestival „Britspotting“
von ANDREAS BECKER
Im letzten Jahr gab es erstmals das British Independent Film Festival. Nach dem erfolgreichen Start haben die Macher von Acud, Central und fsk unterstützt vom British Council dem Kind nun einen pfiffigen Namen gegeben: „Britspotting“. Die Anlehnung an den erfolgreichen „Trainspotting“ (wo man ja leider fast keine Züge sah, die Menschen aber trotzdem ständig auf Trip waren ...) ist programmatisch. Abseits von Festivalzwängen wie Untertitelungszwang oder Erstaufführungsgedöhns wurden sechzehn Filme ausgewählt, die ein junges, unverbrauchtes britisches Kino repräsentieren.
Britanniens Filmstudenten und junge Regisseure sind in ihren Filmen erstaunlich nah dran an der Komplexität des New Britain, das nach dem jahrelangen Blair-Boom vor dem merkwürdigen Widerspruch steht, noch nie so viele junge „Kreative“ in nächtlichen Schlangen vor Geldautomaten in Soho und gleichzeitig so schlechte Krankenhäuser, Eisenbahnstrecken oder Sozialeinrichtungen gehabt zu haben wie heute. Mit dem Verschwinden der Arbeiterklasse und dem Entstehen einer neuen Schicht von Medien-, Dienstleistungs- und Finanzjobbern, ist auch das sozialkritische Kino à la Ken Loach obsolet geworden.
Aber auch Komödien nach dem Strickmuster „The Full Monty“ sind bei „Britspotting“ nicht zu finden. Stattdessen geht es oft ums Finden einer neuen Wohnung oder überhaupt viel mehr ums Leben als ums Arbeiten. Frank zum Beispiel kann es nicht leiden, wenn ihn immer alle fragen, womit er sein Geld verdient.
Die blauäugige, unspießige Maklerin Ruby, mit der er gerade ein Haus besichtigt hat (wobei gleich ein Hauch „Letzter Tango in Paris“ in den Gardinen hängt), fragt ihn trotzdem danach. Frank baut mit zwei Kumpels bescheuerte, aber gut bezahlte TV-Show-Kulissen. Zunächst wirkt er wie ein richtig netter Kerl, aber in ihm drin brodelt eine Mischung aus Feigheit und Aggressivität. Als ein Streit um die richtige Farbe einer riesigen Papphand eskaliert, schlägt Frank plötzlich seinen besten Freund zusammen.
Der Regisseur und Drehbuchautor Jamie Thraves hat mit diesem Erstling („The Low Down“) einen dichten, schönen Film gemacht, in dem die jungen Kreativen Liebe, Geld, Sex und Bier haben, aber trotzdem fundamental etwas fehlt. Nebenbei interessant ist, dass Frank Angst hat vor seinen schwarzen Nachbarn auf der Straße. Aber in äußerst moderner Art: Er will nicht, dass sie denken, er würde sein Fenster schließen, weil er fürchtet, sie könnten seine Platten, seine Gitarre und seinen Marshall-Verstärker klauen.
Um Liebe, Wohnkultur und Multikulti kreisen auch die Themen im Eröffnungsfilm des Festivals, „Offending Angels“. Wieder ein Debütfilm. Der britisch-indische Autor, Produzent und Schauspieler Andrew Rajan stellt zwei Hetero-Jungs, die zusammenleben, zwei Engel zum Schutz an die Seite. Der von Rajan selbst gespielte Baggy verliebt sich in die Beschützerin seines Freundes. Frauen die Engeln gleichen, sind naturgemäß kompliziert in Liebesdingen. Baggy hat als Womanizer sowieso genug Stress: Sie stehen alle auf ihn, und so hat er es mit immerhin vier Exfreundinnen und deren zum Teil handgreiflichen Lovern aufzunehmen.
Härtere soziale Realitäten spiegeln sich in Filmen wie „Rage“, einer Story von drei Jungs, die sich durch dunkle Londoner Straßen rotzen und rappen, einen Bruch machen und keine Platte aufnehmen. In „Chunky Monkey“, in dem ein Fitnessfreak und Iron-Man-Typ recht sachlich von der Zerstückelung einer Leiche redet, oder in dem sehr traurigen „Motion“. Die Bewegung des Obdachlosen Don wird hier zum verzweifelten Lauf im Kreis. Er bettelt, aber all die hübschen, neureichen Dienstleister und auch die Prolls in Brighton am Meer sind gerade gar nicht in der Laune, ein paar Pennies rauszurücken.
Hier ist er dann doch wieder, der gute, alte Sozialrealismus. Manchmal verwischt die Aussicht aus der eleganten neuen Behausung die Wahrnehmung der Menschen, die in schmucklosen Einheitswohnblocks leben.
„Schau nur, wie die alle in ihren Wohnung dahindämmern. Alle gucken TV, haben die gleiche Meinung und die gleichen Probleme“. So arrogant können sie sein, unsre jungdynamischen New-Labour-Briten (die in schlechten Momenten an die Prototypen der Berliner Mitte-Menschen erinnern), die in Filmen wie „The Truth Game“ ausgiebig sich selbst und ihre engsten Freunde betrachten. Witzig ist die irische Produktion „The Book That Wrote Itself“, die von einem jungen Autoren handelt, der sein Buch selbst verfilmen will, weil es sonst keiner tut.
Liam O’Mochain hat alles selbst gemacht bei diesem Low-Budget-Roadmovie, das uns per Inter-City ganz Irland zeigt – inclusive einem Abstecher zum Filmfestival in Venedig. Grandios in der Verulkung irischen Nationalstolzes, baggert der Filmemacher im Film eine Frau an, indem er sie auf Gälisch fragt, wo es denn zum Klo des Pubs ginge. Sie findet das so sexy, dass sie ihn sofort auf ihr Zimmer schleppt. Zur Belohnung redet er beim Bumsen nur gälisch.
„Britspotting“ zeigt uns, was im Moment in der Luft liegt: Jung sein, das eigene Ding machen und nicht allzu tief fallen, wenn ein Projekt wie das eigene Leben sich mal nicht so gut verkauft.
„Britspotting“: Vom 26. 4 bis 2. 5. in den Kinos Acud, Central und fsk. Eröffnung am 26. April im Central, 20 Uhr, mit „Offending Angels“ und „Rage“ (die Regisseure sind anwesend)
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