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Blut, Schweiß und Tränen

World Press Photo-Ausstellung bei Gruner&Jahr zeigt das Elend dieser Welt  ■ Von Peter Ahrens

Sagt ein Bild tatsächlich mehr als ganz viele Worte? Das World Press Photo des Jahres 2001 zeigt eine Familie, eine Mutter mit drei Kindern. Fast ein Stillleben. Dass es eine aus Behördensicht illegale Familie ist, nicht registrierte Einwanderer aus Mexiko in die USA – das verrät das Bild nicht. Es erschließt sich erst über den Begleittext, der unter dem Foto geschrieben steht. Ganz in der Nähe hängt ein Foto, das einen Schwarm auffliegender Geier zeigt. Was man auf dem Bild nicht sieht und sich erst erlesen muss, ist der Anlass, der die Vögel an diesen Ort in Tibet getrieben hat. Sie machen sich über Leichen her, die extra für die Geier dort hingelegt wurden – Himmelsbestattung heißt das Ritual. Das ist der Reiz der Pressefotografie – ein Bild erklärt den Text, ein Text erklärt das Bild: Ab heute im Gruner&Jahr-Pressehaus zu sehen.

World Press Photo – der Wettbewerb um das beste journalistische Bild des Jahres, die Creme der Bildberichterstattung. Und wie alljährlich Hass, Gewalt, Not, Krieg, Verfolgung. Die Fotos zeigen die „Gegenwelt zu Loft und Lifestyle“, wie Geo-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede zur Einführung sagt. Die Kriegsopfer in Tschetschenien oder Sierra Leone, verzweifelt, allein, gedemütigt schauen sie in die Kamera. „Es gibt eine Welt jenseits von Formel Eins und Verona Feldbusch“, sagt Gaede dazu. Gleichzeitig ist das auch die Kritik, mit der dieser Wettbewerb seit Jahren leben muss.

Stets sind es die Fotos aus den Kriegsgebieten, die „Bloody Pic-tures“, die von der Jury als preiswürdig erkoren werden. Irene van der Sluys vom ausrichtenden Komitee verteidigt: „Das ist nun einmal die Realität – Kriege wie in Kosovo oder Ruanda sind und waren die Ereignisse des Jahres.“ Aber im Wettbewerb gebe es auch die „beautiful stories“, Fotos über Sport, Tiere, Forschung – tatsächlich sind das aber die Bilder, die es nie zum World Press Photo schaffen werden.

Aber immerhin bis auf Platz zwei: Der amerikanische Fotograf Ed Kashi ist zu Gast auf einer Farm in West Virginia. Er hat seine Fotokamera mit ins Schlafzimmer der Farmersfamilie gebracht. Die Familie ist dort um das Bett einer alten Frau versammelt: Kashi drückt auf den Auslöser und hält fest, wie ein Mensch stirbt. Der Gesichtsausdruck der Frau, der schon nicht mehr von dieser Welt zu sein scheint, der Mann, der am Bettrand sitzt, der Freund, der dem Trauernden die Hand auf die Schulter legt, die Tochter, die noch einmal die Bettdecke zurechtrückt, das Licht, das aus dem Fenster auf das Gesicht der Sterbenden fällt – ein Foto, komponiert wie ein Gemälde von Rembrandt. Dieses Foto braucht keinen erklärenden Text.

Die Ausstellung läuft bis zum 31. Mai im Gruner&Jahr-Pressehaus am Baumwall. Täglich 10-18 Uhr, mittwochs 10-20 Uhr

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