: Marktöffnung verlangsamen
Die Globalisierung schreite teilweise zu schnell voran, sagt Peter Wiesner vom Bund der Deutschen Industrie (BDI) in Brüssel zum Streit um Firmen-Übernahmen
taz: Für den freien Markt zu kämpfen ist dem Bund der Deutschen Industrie eine Herzensangelegenheit. Nun will der BdI Aktiengesellschaften davor schützen, dass sie von anderen Unternehmen aufgekauft werden. Sie riskieren sogar einen Streit mit der Europäischen Union, die Übernahmen erleichtern will. Warum?
Peter Wiesner: Früher war es immer die Position der deutschen Wirtschaft, dass sich der Vorstand der angegriffenen Firma grundsätzlich nicht wehren darf. 1998 wurden dann in Deutschland das Höchst- und Mehrfachstimmrecht in Aktiengesellschaften abgeschafft. Jede Aktie hat seitdem eine Stimme. Die Stimmrechte können nicht mehr beschränkt oder multipliziert werden. Das erleichtert die feindliche Übernahme von deutschen Firmen ganz erheblich. Wir erwarteten, dass die anderen Staaten der EU dasselbe machen. Das taten sie aber nicht.
Vodafone kann also leichter Mannesmann übernehmen als umgekehrt?
Grundsätzlich ist das so. Sonderrechte, die Übernahmen erschweren, gibt es in den meisten Staaten der EU. In Schweden zum Beispiel wird der Wallenberg-Konzern dank der Mehrfachstimmrechte mit wenigen Aktien gesteuert. Nach dem Mannesmann-Fall mit seiner traumatischen Wirkung haben deutsche Unternehmen gefragt: „Wir sollen nackt dastehen, während andere sich wehren dürfen?“ So geht das nicht.
Was fordern Sie?
Gleiche Bedingungen für alle. Die Aktionäre einer Gesellschaft sollen ihre Vorstände für die Zukunft ermächtigen können, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen – zum Beispiel Kapitalerhöhungen, um die eigene Firma teurer zu machen. Die EU-Kommission will solche „Vorratsbeschlüsse“ untersagen. Der Vorstand müsste sich jede Maßnahme einzeln von der Hauptversammlung genehmigen lassen, was während des kurzen Übernahmekampfes für große Publikumsgesellschaften kaum möglich ist.
Ist die Liberalisierung in Deutschland zu schnell gegangen?
Nein, woanders läuft sie zu langsam.
Halten Sie die Position der EU-Kommission angesichts der politischen Lage für zu marktradikal?
Nicht, wenn wir einheitliche Rahmenbedingungen in allen Ländern hätten.
Als Argument für die Liberalisierung führt der BdI gerne ins Feld, dass Fusionen frischen Wind in die Unternehmen bringen und sie sich danach besser am Weltmarkt behaupten können. Ist dieses Argument nicht mehr richtig?
Im Prinzip schon. Aber wir wissen ja auch, dass es Fehlentwicklungen gibt. Sie kennen die berühmte Untersuchung, dass 70 Prozent aller Fusionen am Ende kein Erfolg waren.
Sie warnen vor einer zu euphorischen Einschätzung von Zusammenschlüssen?
Zumindest so lange, wie es keinen internationalen Rahmen gibt.
Trotzdem würden viele Fusionen missraten.
Da haben Sie Recht.
Schreitet die Globalisierung also zu schnell voran?
In einzelnen Bereichen sicherlich. Man sollte die weltweite Marktöffnung nicht unbedingt beschleunigen, sondern es etwas langsamer angehen.
Interview: HANNES KOCH
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