: „Wir lebten wie die Tiere“
Wo die Milizen herrschen: Wer im Norden der Provinz Katanga den Krieg überlebt hat, kann sich glücklich schätzen
NYUNZU afp ■ Es regnet in Strömen, und Jeanne ist halb nackt. Die 31-jährige Frau mit dem ausgemergelten Gesicht zieht ein zerrissenes, verdrecktes Tuch über ihre dünnen Schultern. Im Arm hält sie ein Baby, das aussieht wie eine kleine Leiche.
Bis vor wenigen Tagen war Jeanne eine Kriegsgefangene, in Gewahrsam zuerst der ruandischen Hutu-Miliz „Interahamwe“ und danach einer kongolesischen Miliz namens „Mayi-Mayi“. Monatelang belagerten diese beiden Gruppen die kleine Stadt Nyunzu im von der Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) kontrollierten Norden der kongolesischen Provinz Katanga. In dieser eigentlich hübschen Stadt, wo Mangobäume die Straßen säumen, lebte Jeanne bis zum 20. Dezember. An diesem Tag wagte sie sich ein wenig zu weit hinaus auf die Felder. „Plötzlich standen vor uns Soldaten der kongolesischen Regierungsarmee“, erinnert sich Jeanne. „Sie trugen Regierungsuniformen, aber viele sprachen ruandisch. Wir waren etwa zehn Frauen. Sie nahmen uns mit in den Busch und dann in den Wald. Es wurde viel geschossen, wir hatten Angst.“
Am 20. Dezember versuchten vier hauptsächlich aus ruandischen Hutu-Milizionären bestehende Bataillone der kongolesischen Regierungsarmee, Nyunzu einzunehmen. Ruandas Armee, die Kongos RCD-Rebellen unterstützt, schlug den Angriff zurück. Aber die Milizionäre verschleppten aus Nyunzu mehrere hundert Frauen und Kleinkinder. Und der Ort verharrte im Belagerungszustand. Der einzige Kontakt zum Rest der Welt bestand in ein paar unregelmäßigen Flugverbindungen. Das reichte nicht für die Versorgung der Stadt.
Drei Monate lang blieben Jeanne und ihre Gefährtinnen Gefangene der ruandischen Hutu-Milizen, zehn Kilometer von der Stadt entfernt im Busch. „Wir mussten waschen und kochen, Brennholz suchen oder Maniok anbauen“, erzählt Jeanne mit zitternder Stimme. „Wir lebten wie die Tiere, bekamen kaum zu essen und nichts anzuziehen. Manchmal haben sie uns geschlagen. Manche von uns, die sich gegen Vergewaltigungen wehrten, wurden getötet. Eines Tages gaben sie uns an eine mit ihnen verbündete Mayi-Mayi-Miliz weiter, die uns woandershin verschleppten. Das war nicht mehr ganz so schlimm. Die Mayi-Mayi sind schließlich auch Kongolesen. Ihre Familien leben auch im Busch.“
Am 6. April wurde Jeanne befreit, als Ruandas Armee einen Vorstoß gegen die Milizen unternahm. Jeanne hat Glück, dass sie noch lebt. Viele andere Bewohner von Nyunzu, die während der dreimonatigen Belagerung aus Hunger versuchten, den Ort zu verlassen, wurden von Mayi-Mayi-Kämpfern erschossen.
Zwanzig Menschen starben so allein am 20. März. Die 17-jährige Zaina, eine von zwei Überlebenden, schildert das Massaker: „Wir mussten niederknien. Sie schossen die Männer in den Kopf. Die Frauen haben sie mit der Machete umgebracht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen