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„Frieden nur Hälfte der Lösung“

UN-Vertreter Claude Jibidar fordert mehr humanitäres Engagement im Kongo

Claude Jibidar ist Koordinator des UN-Welternährungsprogramms (WFP) für den Osten der Demokratischen Republik Kongo mit Sitz in Bukavu.

taz: Stimmen Sie der Schätzung von 2,5 Millionen Toten im Osten Kongos seit 1998 zu?

Claude Jibidar: Dass viele Menschen gestorben sind, wissen wir. Das Problem ist, wie man das quantifiziert. Schon vor dem Krieg gab es keine verlässlichen Angaben über Sterblichkeit im Busch. Aber das IRC hat eine sehr gute Arbeit geleistet. Ich glaube, die Zahl liegt nahe an der Realität.

Im IRC-Bericht steht, dass die Sterblichkeitsraten noch weiter zunehmen werden. Trifft sich das mit Ihren eigenen Beobachtungen?

Ich glaube schon. Eine so schlimme Lage kann sich nicht über Nacht verändern. Es gibt nach wie vor keine wesentliche Veränderung der Sicherheitslage und des Zugangs zu betroffenen Bevölkerungen. Zum Beispiel finden wir Ortschaften im Norden der Provinz Katanga, wo über 30 Prozent der Bevölkerung schwer unterernährt ist. Viele Menschen sterben an Hunger und Gewalt. Ich kenne drei Fälle von Leuten, die jeweils als Einzige überlebten, als sie in Gruppen von zehn oder zwölf auf ihre Felder gingen und von ruandischen Hutu-Milizen angegriffen wurden. Es muss viele Fälle gegeben haben, wo niemand überlebte. Die Bevölkerung in solchen Ortschaften lebt im Belagerungszustand, sie kann sich nicht bewegen wegen der Aktivität von Milizen. Diese Milizen, die nicht zu den Unterzeichnern des Kongo-Friedensabkommens von Lusaka gehören, füllen das Vakuum, das die regulären Truppen bei ihrem vereinbarten Rückzug hinterlassen.

Wie reagieren die internationalen Geber auf Ihre Hilfsappelle?

Bis jetzt geben sie nicht viel. Alle sind vorsichtig, was den Kongo angeht. Niemand will sich die Finger verbrennen. Sie beobachten das Land wie ein Schachbrett und verfolgen die Bewegungen darauf, aber wir brauchen Engagement. Das Friedensabkommen, die Truppenentflechtung und die UN-Stationierung sind eine Sache – aber sie sind eben nur die Hälfte der Lösung. Wir brauchen auch humanitäre Hilfe. Die Milizionäre, die weiter aktiv sind, sind schließlich Menschen. Man muss ihnen Perspektiven bieten.

Kann ein Bericht wie der des IRC die Hilfsbereitschaft vergrößern?

Ich denke ja, denn die Menschen werden aufmerksamer. Kongo ist ein wunderschönes Land, es ist schwer, Leuten begreiflich zu machen, dass sich hier schreckliche Dinge abspielen. Wenn eine Zahl von 2,5 Millionen Toten veröffentlicht wird, bringt das die Menschen dazu, die Realität zu sehen.INTERVIEW: DOMINIC JOHNSON

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