: Teufel als Aktenordner
■ Mauricio Kagels „Der mündliche Verrat“ verschreibt sich ganz dem Teufel. In der Concordia stülpt Rainer Holzapfel dem Musikepos gekonnt eine Glasglocke über
Schlicht und einfach spektakulär ist es, wie Bühnenbildner Detlef Thomas die Concordia umkrempelte. Vielleicht liegt es an seinem gelben Glitzerhemd, dass er über sämtliche Raumordnungsgepflogenheiten hinwegzudenken vermag. Zwar nennt Mauricio Kagel sein Stück über historische Teufelsbilder ein „Musikepos“, doch die Schauspielerstimmen hat Regisseur Rainer Holzapfel elektronisch verstärkt, sodass die Musik manchmal zur Bedeutung eines Filmtrailers absinkt. Also verlegt Thomas das Orchester nach hinten und pflanzt eine papierne Stellwand davor. „Sonst hätte das Treiben der drei Schlagzeuger das Publikum zu sehr abgelenkt.“ Diese Wand ähnelt der weißen Außenfassade von Kaufhof und Brinckmann, wurde jedoch entwickelt nach Plänen jenes Architekten, der nach dem Krieg die Gedächtniskirche umbaute. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie geplagte Bühnenbildner tagelang Papier falteten.
Die Bühne ist vom Zuschauer abgeschirmt durch Glas; darübergespannt ein halbdurchsichtiger Theaterstoff, blaugestreift – ein bisschen Gefängnis? Es ist jedenfalls eine geschlossene Welt, sie heißt Büro, und die einzige Farbe in der geballten Nüchternheit spenden bunten Thermoskannen.
Jeder der drei new-economy-fähigen Schauspieler hat sein eigenes Büro, aber die Zuschauer sind übers Eck plaziert, sodass sie guten Einblick nur in eines haben. Macht aber nichts, denn Holzapfel ist offenbar Freund des Synchronschwimmens. Etwa die Hälfte des Stücks handeln Katja Hensel, Marcus Reinhardt und Mikael Serre – Gastschauspieler aus Hamburg und Paris – absolut identisch: Essen aus der Mikrowelle, Aktentaschepacken, Handynutzen, Kreuzworträtseln, Schreiben, Gähnen – die Hölle der Berufsroutine. Womit wir beim Thema wären.
Mauricio Kagel, der in „Staatstheater“ 1971 auf urkomische Weise die Formen traditioneller Oper deftig auseinanderpflückte, sampelt nämlich in seinem selten gespielten 1 1/2-Stunden-Epos von 1983 historische Texte über den Teufel – nichts von Theologen, eher gruselige Legenden aus Volkes Mund. Mal erscheint der Teufel als Schaf, das, schwups, sich in Kuh und Pferd verwandelt, eine ganze Herde tötet, aber den armen Bauern ein goldenes Halsband zurücklässt, mal verführt er als schöner Mann die junge Marlia. Auf der Hochzeitsreise zerrt er sie über Friedhöfe und schleppt sie durch haiverseuchtes Gewässer, bis sie abgenagt ist bis auf den Kopf. Dann ist er Geiger, der mit seiner Tanzmusik die Dorfjugend verführt und die Erde tut sich auf und verschluckt alle. Musik kann aber auch retten; nämlich jenen Verirrten, den nachts hungrige Wölfe umzingeln, die er vertreibt mit seinem Geigenspiel: schöne, mythendurchtränkte Dorfwelt. Die Sprache klingelt meist wundersam archaisch, und ein Foto von der Uraufführung mit großer Kralle lässt Holzapfel vermuten, dass Kagel damals das Grauen sichtbar werden ließ.
In der Concordia dagegen kommt selten Schauer auf, auch nicht, wenn die Glühbirnen mysteriös flackern und die Schauspieler sie mit Stoff zuhängen, oder wenn sie ein blaues Licht mit der Fernbedienung wegdrücken wollen. „Meine Aufgabe als Regisseur ist es zu fragen, wie der Teufel heute aussehen könnte.“ Die Antwort dieser Inszenierung: Er versteckt sich in der Alltagsroutine. Die Schauspieler lesen die Texte teils aus Büchern, die ihnen – wortwörtlich – in die Hand fallen. Sie tun's so, wie man unverständliches Behörden-Latein abstottert. Ein anderes Mal knobeln sie an den Texten, wie am (teuflischen) ZEIT-Kreuzworträtsel. Einmal mischt Serre sogar die Fußballgegröhl mit Gottesdienstpathos. Unglaublich detail- und einfallsreich ist diese Inszenierung, sogar mal mit Rückwärtslauf wie im falsch eingelegten Film.
Volkes Angst über die glühenden Augen der Nacht geht aber schon ab. Immerhin steckt es in der tollen Musik: Mit nur acht MusikerInnen gelingen da immer neue schräge Klangkombinationen: brummige Tuba und Marimbaphon; Klavier, Kontrabass und Zither; tänzelnde Tuba zur trockenen Rassel. Oft sind kleine Melodiebausteine leicht variiert wiederholt, und nicht selten singen Geige oder Klavier wunderschön melancholische, manchmal sogar süße Melodien singen. Musik, die nicht überfordert. bk
13.,20.,25.,31.Mai und 5-mal im Juni, 20h
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