: Buff, buff, das war’s
Nach dem angstbeladenen 0:1 beim VfB Stuttgart übt sich Schalke 04 im Strohhalmklammern und Türentreten
STUTTGART taz ■ Da stand er nun, Huub Stevens, in einem schattigen Beton-Gang des Stuttgarter Neckarstadions. Den Kopf gesenkt, mit einem Schnauben der Verzweiflung. Der Schalker Trainer rieb sich die Augen, als wäre er gerade schweißgebadet aus einem Alptraum erwacht. War er aber nicht. Er befand sich noch mittendrin. Die Gefühle brachen aus ihm heraus, voller Wut trat er gegen die nächstbeste Eisentür.
Zuvor, als es die 0:1-Niederlage beim jetzt vor dem Abstieg geretteten VfB Stuttgart zu erklären galt, hatte er kraftvoll angekündigt: „Wir gehen noch mal voll ran, um das zu schaffen, was möglich ist – und es ist noch viel möglich.“ Es war eine Platitüde im Moment des Scheiterns, gespielte Kampfeslust vor dem Saisonfinale, wahrscheinlich einfach nur Trost, den er sich und den Fans spenden wollte.
Trost, ja, nötig nach solch einer nie dagewesenen Bundesliga-Schlussminute, in der sich die Meisterschaft wohl entschieden hat. Genauer gesagt waren es sieben Sekunden: Balakow-Tor, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, Zickler-Tor. Alle versuchten, dies Unmögliche zu erklären. Und scheiterten. Es blieb bei der Beschreibung der Szene und der eigenen Befindlichkeit. „Der Schuss kam durch drei Mann durch, der Ball war drin, das war traurig“, erklärte Mike Büskens. „Da sitzt du ausgewechselt draußen, siehst, dass die Stuttgarter gar nichts machen wollen, dann schießen die so ein Tor“, beschrieb Ebbe Sand. „Dann macht’s buff, buff – das war’s“, kopfschüttelte Andreas Möller. Und die allgemeine Ratlosigkeit fasste dann wieder Büskens zusammen: „So ein Ding kann immer passieren, es darf nicht passieren, aber es ist halt passiert.“
Bei allem Achselzucken gibt es dennoch ein Erklärungsmuster: Es ist halt schwierig, mit elf Mann auf zwei Fußballplätzen zu spielen und auch noch zweimal erfolgreich sein zu wollen. Stets informiert über die Zwischenstände im Münchner Olympiastadion, hat sich das Schalker Spiel mit zunehmender Dauer auch daran orientiert. Natürlich war es per se schwierig, gegen die dreifache Security-Linie der Stuttgarter in der eigenen Spielhälfte ein Mittel zu finden. Doch dass es die Schalker nicht wenigstens mit ein bisschen Risiko probierten, widerspricht eigentlich deren originär offensiv ausgerichteten Spielweise. Zwei Chancen hatte der beste Sturm der Liga mit Emile Mpenza (6. Minute) und Ebbe Sand (83. Minute), mehr nicht und deshalb zu wenig. Ansonsten schob sich die Defensiv-Reihe die Bälle zu, und Torhüter Oliver Reck bekam deren weit mehr in Form von Rückpässen aufs Tor als vom Gegner. Möller hat denn auch eingeräumt: „Wir haben nicht auf Sieg gespielt, das ganze Spiel war ja absolut einschläfernd.“ Die Angst vor einem Stuttgarter Konter und das Vertrauen in die zuletzt desolaten Kaiserslauterer war offensichtlich größer als die Gewissheit eigener Stärke.
Was den Schalkern bleibt, ist ein bisschen Hoffnung. „Es ist nicht unmöglich, dass Bayern in Hamburg verliert“, klammerte sich etwa Sand an diesen Strohhalm. Doch trifft die meisterliche Wahrscheinlichkeitsrechnung von „10 bis 15 Prozent“ durch Rudi Assauer die Realität recht genau. Der Schalke-Manager hatte auch am schnellsten das Ganze wieder im Blick: „Du musst jetzt gegen Unterhaching gewinnen, damit du dich automatisch für die Champions League qualifizierst.“ Stimmt: Immerhin rückte Borussia Dortmund bis auf zwei Punkte an Schalke heran.
Champions League, vermutlich DFB-Pokalsieger, ist das nichts, hatte das jemand zu Beginn der Saison vermutet? Assauer sieht das so. Zumindest vordergründig. „Durch die Niederlage bricht doch nichts zusammen“, stellte er brachial fest, „keiner wurde erschossen, wir sind alle noch am Leben.“ Und er blieb sich auch an diesem ominösen 33. Spieltag treu in seiner Mischung aus Coolness und Understatement. Schicksal, dass es die Bayern so kurz vor Schluss gleich einer Gesetzmäßigkeit mal wieder hingekriegt haben? „Schicksal“, antwortete der Schalker Manager, „Schicksal ist, wenn sie schwer krank sind.“ Kein Grund also, traurig zu sein? Na ja: Wer weiß, ob Rudi Assauer nicht gerade zu Hause vor Wut gegen die Türen tritt.
THILO KNOTT
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