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: Literatur als Sättigungsbeilage

Meisterkochende Detektive

Weil Athene mit einem Ölbaum aufwartete, gewann sie den Götterwettstreit um die Herrschaft Attikas: Zeus verstand die Olive als das wertvollste Geschenk. Der griechische Mythos wusste um die überragende Bedeutung des Baums, der bis zu 500 Jahre alt werden kann, wegen seiner Frucht und des Öls für den gesamten Mittelmeerraum. Der amerikanische Journalist Mort Rosenblum hat der „göttlichen Frucht“, deren diverse Produkte sich inzwischen weltweiter Beliebtheit erfreuen, eine ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Kulturgeschichte gewidmet. „Der Olivenhain“, schrieb Jean Giono, „ist wie eine Bibliothek, in der man das Leben vergessen oder besser verstehen lernen kann. In gewissen Dörfern gehen die Männer Sonntag morgens zu den Oliven so wie die Frauen zur Messe.“

Diese spirituelle Haltung einem Nahrungsmittel gegenüber ist auch eins der Motive, aus denen in Thomas Bernhards Werken dem Essen ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit gewidmet wird: das kulinarische Ritual als eine Art säkularisiertes letztes Abendmahl. Hilde Haider-Preglers und Birgit Peters kulinarische Thomas-Bernhard-Lektüre „Der Mittagesser“ arbeitet heraus, dass Essen und Trinken bei Bernhard „essenzielle, dramaturgische Ingredienzien“ sind. „Immer wieder wird die festlich gedeckte Tafel zum Ort von Katastrophen; Speisen lassen sich für Disziplinierungsmaßnahmen, Machtdemonstrationen und Demütigungsrituale gebrauchen, Lebensmittel ermöglichen Kommunikation und Interaktion. Essen ist immer sinnliche Erfahrung und bedeutet die Auseinandersetzung mit der eigenen, zumeist beschädigten Physis.“ Das Zitat macht deutlich, dass dieses Buch nichts mit jenen dubiosen Literatur-Koch-Büchern zu tun hat, die unter Titeln wie „Zu Tisch mit Marcel Proust“, „Kochen mit den Buddenbrooks“ oder „Fontanes Leibgerichte“ kursieren und uns eigentlich nur den Appetit am Lesen verderben.

Womit ich nichts gegen das gute, alte Kochbuch gesagt haben möchte – im Gegenteil kann aus simplen Rezepten durchaus ein delikater Roman entstehen. Jedenfalls war der italienische Unternehmer Orazio Bagnasco ein leidenschaftlicher Sammler mittelalterlicher Kochbücher, die ihn zu seinem Roman „Die Nacht der Sieben Sünden“ inspirierten. Das ist gewiss keine Weltliteratur, aber doch ein höchst goutierbares Buch, in dem es um ein rauschendes Renaissancefest geht, um Liebe und Tod, Sex und Mord, vor allem aber ums Essen. Der Held des opulenten Gemenges aus Krimi und Kulturgeschichte ist ein Meisterkoch, der wider Willen zum Meisterdetektiv avanciert.

Das Gegenteil italienischer Kochkunst dürfte die berüchtigte englische Küche sein. Patricia Clough unternimmt in ihrem Buch „English Cooking“ einen tapferen Versuch, den ruinierten Ruf zu retten. „In der Sammlung moderner Vorurteile stellt“ nämlich die englische Küche „neben deutschen Polizisten und italienischer Bürokratie einen Bestandteil der Hölle Europas dar“. Wenn uns dann, neben allerlei halbwegs plausibel klingenden Rezepten, allerdings die Information aufgetischt wird, manche Fish-and-Cips-Fans fänden ihr Leibgericht erst dann besonders schmackhaft, wenn das Ganze in Zeitungspapier eingewickelt wird, darf man bezweifeln, ob diese Rettungsversuche nicht doch am falschen Objekt vorgenommen werden.

Zum schadlosen Verdauen von gelierten Aalen oder bleischweren Fudges dürfte der Kontinentaleuropäer vermutlich das eine oder andere Schnäpschen nötig haben. Gleich in Strömen fließen Wodka und andere harte Sachen durch Wladimir Schinkarjows absurd witziges Buch „Maxim und Fjodor“. Ein Freundespaar aus Petersburg philosophiert hier, befeuert vom nicht immer freundlichen Dämon Alkohol, urkomisch über Gott, Welt und eine ziemlich abgedrehte Version des Zen-Buddhismus. Als Fjodor einmal das Buch „Leben im Zen“ geschenkt bekommt, fragt er Maxim, wie er mit dem Geschenk verfahren solle. „ ‚Das kannst du auf den Lokus hängen‘, antwortete Maxim. Der erleuchtete Fjodor tat, wie ihm geheißen.“ KLAUS MODICK

Hilde Haider-Pregler/Birgit Peter: „Der Mittagesser. Eine kulinarische Thomas-Bernhard-Lektüre“. Suhrkamp TB, 255 Seiten, 18,90 DMWladimir Schinkarjow: „Maxim und Fjodor“. btb, 159 Seiten, 15 DMOrazio Bagnasco: „Die Nacht der Sieben Sünden“. btb, 384 Seiten, 18 DMPatricia Clough: „English Cooking“. DTV, 160 Seiten, 17,50 DMMort Rosenblum: „Oliven“. Serie Piper. 336 Seiten, 26,90 DM