: Altweibergegeifer am Tiefkühlsarg
Endlosspirale der Gemeinheiten in Dea Lohers „Der dritte Sektor“ am Thalia in der Gaußstraße ■ Von Petra Schellen
Das muss der Alten erstmal einer nachmachen: Kaum 'raus der Cappuccino-Bar, weggehumpelt mit dem Stützwägelchen – und schon mit fünf Leuten Streit angefangen, direkt vorm Eingang. Warum? Na, weil ihr oder deren oder sonstein Hund falsch geguckt hat. Riesengekeife bricht los. „Sie können froh sein, dass Sie alt sind, sonst hätt' ich Sie angezeigt“, schreit ein Korpulenter. „Böse alte Frauen“, feixt ein anderer. Bühnenreif. Dabei ist die Szene noch nicht mal Dea Lohers Stück Der dritte Sektor entnommen, das jetzt am Thalia in der Gaußstraße uraufgeführt wurde. Nein, ganz harmlos im Einkaufszentrum ist das Hundegegeifer passiert, gar nicht weit vom Spielort entfernt.
Froh sein, dass man alt ist – und dann, geschützt durch Invalidenstatus, all jene Deftigkeiten von sich geben, die man schon immer mal aussprechen wollte. Ungestraft Leute anpöbeln, auf still-schadenfrohe Art Hofnärrin sein: Je länger man ihn wälzt, desto sympathischer wird einem der Gedanke. Warum nicht gar leidenden Alten als kleine Entschädigung Beschimpf-Gutscheine ausstellen, versehen mit den Namen sämtlicher Intimfeinde?
Boshaftigkeiten gesammelt haben auch die Greisinnen Anna (Almut Zilcher) und Martha (Hildegard Schmahl) in Dea Lohers auf den Dienstleistungssektor bezogenem Stück, das sich als endlose, wie vom Zufallsgenerator entworfene Folge von Boshaftigkeiten entpuppt, die Näherin und Köchin einander vor die Füße werfen.
An Annas Angst vor Hunden weidet sich Martha; deren geheiligten Quellekatalog zerfetzt daraufhin die Kollegin; deren Erinnerungsfoto verbrennt wiederum Martha. Und es scheint keinen Höhepunkt all dieser Unsäglichkeiten zu geben. Dienstleistungen haben sie jahrzehntelang im selben Haushalt vollbracht, Geiz und Demütigungen ihrer Chefin ertragen, die jetzt halbtot in der Kühltruhe modert.
Wie ein Fetisch, als ängstlich-triumphierend hereingeschobene Schatzkiste rollen die beiden den weißen Sarg auf den Bühnenlaufsteg. Und wie Kaninchen starren sie ständig auf die Kiste, als fürchteten – oder erhofften? – sie die jederzeitige Auferstehung der Schrecklichen: „Wenn die Frau tot ist, gehören wir dann zur Konkursmasse?“ Was bliebe von ihrer Persönlichkeit, die nur noch Boshaftigkeiten reproduziert, die sie an die ausländische Putzfrau Xana (naiv-verrucht: Victoria Trauttmansdorff) weitergeben? Und was fingen sie an, entfiele der äußere Feind? Was täte man, wenn die alles dominierende und ordnende Instanz – Chefin Bierbaum, Gott oder sonstwer – tatsächlich nicht wiederkäme?
Ratlos sitzen sie da, als – überflüssigerweise, darauf wäre man selbst gekommen – genau diese Fragen ausgesprochen werden. Ein bisschen auf Godot, ein bisschen auf die Auferstehung warten die beiden: Martha, deren Namensvetterin laut Apokryphen am leeren Jesus-Grab wartete, und Anna, die biblische Mutter Marias. Zwischen Hoffnung und Verzweiflung changieren die Frauen, deren Dienstleistung von cheflicher Existenz und Willkür zugleich abhängt. „Wenn hier ausgeräumt wird, ... hören wir dann auch auf oder haben wir noch eine Geschichte?“ fragen die beiden. Und vergeblich mühen sie sich, ihre hassliebende „Treue zum Betrieb“ als marktkompatibles Gewinnstreben zu verkaufen: „Aber treu sind wir nicht. Wir nicht. Wir arbeiten nur für Profit.“
Die Auswirkungen durch Fesseln deformierten Lebens hat Loher in ihr Stück gepackt und zwei Hiob-gleich geschlagene Figuren geschaffen, die in exzentrischer Bahn um Erinnerungen und Verhaltensmuster kreisen: Schon in Lohers alttestamentarischem Vorspiel schafft es Martha nicht, von Gott den Segen zu erzwingen. Bis zur expressiven Lautlosigkeit gesteigerter Schmerz, der sich Munch-artig als stummer Schrei offenbart, geben sich die Alten hin; Barlachs irr Lachender Alter gleicht Martha im Triumph.
Ein sisyphusgleicher Kampf ums Obenaufsein zieht sich durch das von Regisseur Dimiter Gotscheff leicht gekürzte Stück, das mit der Beschränkung auf die kämpfenden Alten gut bedient gewesen wäre: Nach einer Stunde verbalen Ringens treten deutliche Längen zutage. Auch wirken Xanas Lamenti über die Geschicke einer passlosen Ausländerin so gewollt politisch, als habe Loher das Thema dringend noch zwischen die Greisinnendialoge quetschen wollen. Wäre gar nicht nötig gewesen – ganz abgesehen davon, dass deren deutsch-hygienische Überheblichkeit so revolutionär ja nun auch nicht ist.
Weitere Vorstellungen: 30., 31.5., 20 Uhr, Thalia Gaußstraße 190
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