: Sterbender Schwan
■ Ab Herbst 2002 wird sich die steptext dance company wieder an Bremen binden
1996 gründete Helge Letonja, unter Susanne Linke Tänzer am Bremer Tanztheater, die steptext dance company. Die sucht, wie sonst nur in der Jazzszene üblich, systematisch die Kooperation. Mal arbeitet man mit der Off-Szene von Cottbus, mal in Montreal. Bei ihrem Programm „Inflammable“ bildeten zwei steptext-TänzerInnen eine große Koalition mit drei TänzerInnen der multikulturellen Leipziger „Earthdance-Cooperation“.
Sie kommen alle aus dem Stadttheater-Betrieb. Die Mädels der Leipziger waren am Gießener Stadttheater, Günther Grollitsch tanzte sich sogar durch drei Theater, unter anderem Freiburg. Aber es nervte ihn, nur ,Material' oder ,Instrument' für die Ideen von jemand anderem zu sein. Vor allem, wenn man schon mal in barschem Ton genötigt wird zu Bewegungen, die dem eigenen Körper gegen den Strich gehen. Mut verlangt das Leben im Off schon, dieses Gastspiel-Leben, wo Publikumsräume schon mal halb leer sind – auch wenn das ist im staatlichen Tanztheater nicht viel anders ist. Jedenfalls binden sich die Steptexter ab Herbst 2001 wieder enger ans Junge Theater, erarbeiten – nicht zum ersten Mal übrigens – gemeinsame Stücke, auch wenn bis dahin die längst versprochene Schwankhalle immer noch nicht fertig sein sollte.
Nun aber zu „Inflammable“, sieben höchst unterschiedlichen Miniaturen, choreografiert von vier der fünf TänzerInnen. Wunderschön ist ein Sommerurlaubsstück von Martina La Bonté. Zu den sanften Klängen von Meeresgeplätscher bewegen sich zwei lilafarbene Nixen in slow motion. Fast könnte man sie wegen dieser Trancehaftigkeit für Unterwasser-Existenzen halten. Vielleicht sind sie aber nur von Sonne bekifft. Manchmal bewegen sie sich synchron, manchmal umgarnen sie sich freundlich. Gregory Livingston dagegen terrorisiert das Publikum in seiner Psychatriestudie. Die Musik ist zum Teil minimal-music-artig geloopt, und auch sein Tanz verhakt sich manchmal in Widerholungsstrukturen, wenn er sich da aus seiner Zwangsjacke mit schmerzlich ruckartigen Bewegungen zu befreien sucht. Die Befreiung gelingt, was aber die Sache nicht besser macht und deshalb das Stück in einem Monolog enden lässt, der – ein wenig arg pathetisch – über die Ununterscheidbarkeit von Leben und Tod philosophiert.
Das ist gekonnt gemacht. Aber gerade nach Tanz Bremen 2001, wo man viel Schräges, Lustiges, Neues sehen konnte, wirkt die Studie über die geknechtete Seele irgenwie antiquiert. Vieleicht gilt das auch für ein virtuoses Stück über die Beziehungsdramen zwischen einem Mann und zwei Frauen: klassisches Tanztheater, wie da jede Bewegung ins Gegenteil kippt, ein Streicheln zu einem Wegdrücken wird, ein Anschmiegen zu einem Schubsen. Er hat, erzählt Grollitsch, eine Zeitlang nur lauter abstraktes Tanztheater gesehen und hatte deshalb ganz einfach das Bedürfnis nach Geschichten.
Überaus entzückend auch für Skeptiker gegenüber dem psychologisierenden Tanztheater ist sein Solo „Peak it“. Erst erwachen langsam in wunderbar verschrobenen Bewegungen die Beine dieses langen dünnen Mannes. Dann versucht er sich in seinen seidenen Spitzentanzschuhen vielleicht an Dornröschen, am Ende jedenfalls am sterbenden Schwan, und zwar mit der traumhaften Grazie des Scheiterns. Kurz, dieses Ensemble wird ein Gewinn sein für Bremen.
bk
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